Ein Lob des Konstruktiven

Der Schweizer Max Bill, der heute 75 Jahre alt wird, verkörpert auf ideale Weise das, wovon ganze Künstlergenerationen geträumt haben: Er ist zu einem Gestalter geworden, der seine Kunst aus Ihrer Isolation löste und seine Formvorstellungen in die unterschiedlichsten Lebensbereiche übertrug.
Max Bill gelang damit etwas, was seine Lehrer am Dessauer Bauhaus im Blick auf künftige Generationen gefordert hatten: Aus theoretischen Anschauungen eine Formensprache zu entwickeln, die in der Kunst ebenso anwendbar ist wie in der Architektur und im Design ebenso wie
im Theater.

So konnte Bill in die Rolle des rechtmäßigen Bauhaus-Erben hineinwachsen: In der Nachkriegszeit schuf er nicht nur die architektonische Hülle der Hochschule für Gestaltung in Ulm, sondern war sechs Jahre lang auch deren Rektor. Hier verwirklichte er seine Vorstellungen einer aus mathematischen Grundsätzen entwickelten konstruktiven Kunst und gab seine Theorien an Studenten weiter. Max Bill übernahm im Lauf seines Lebens viele unterschiedliche Aufgaben, und doch blieb er immer gleichzeitig Künstler und Architekt, Formgestalter und Lehrer, Theoretiker und Anreger.

Für Bill ist die Geometrie eine Quelle der Schönheit und Harmonie. Sein gesamtes Werk ist ein einziges Lob des Konstruktiven. Als im vorigen Jahr der Goslarer Kaiserring an den Schweizer Künstler überreicht wurde, da war die Preisverleihung mehr als die Ehrung eines verdienten und wegweisenden Künstlers — da bedeutete sie zugleich auch eine Ehrenrettung der logisch-abstrakten Kunstrichtung, die in jüngster Zeit etwas in den Hintergrund gedrängt worden war.

HNA 22. 12. 1983

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