Als siebenter Künstler hat der Schweizer Max Bull den Kaiserring der Stadt Goslar erhalten. Mit Bill wurde dabei ein Mann geehrt, der für sich und sein Werk den erfolgreichen Versuch unternommen hat, die Kunst aus der Isolierung herauszuführen, die Grenzen zwischen Kunst und Leben einzureißen, Industrieprodukte und Kunstwerke nach den gleichen Gestaltungsprinzipien anzufertigen und den Weg in die gesellschaftliche Verantwortung zu suchen. Max Bill hat als Künst1er, Designer, Theoretiker, Architekt, Lehrer und Politiker Ideale teilweise verwirklicht, die unter anderem auch vom Bauhaus formuliert worden waren.
Bill ist in dieser Rolle längst international anerkannt. Wenn jetzt die Kaiserstadt am Harz nach Joseph Beuys und Richard Serra mit Bill einen der Väter der Avantgarde (auf Vorschlag einer exklusiv besetzten Experten-Jury) ehrte, dann verbarg sich dahinter auch ein kunstpolitischer Schachzug: In einer Zeit, in der die aus der konstruktivistischen Tradition hervorgegangene Avantgarde beiseite geschoben wird und in der sich impulsive, emotionale und gegenständliche Kunst breit macht, wird mit der Kaiserring-Verleihung auf die fortdauernde und weiterhin wegweisende Kraft und Lebendigkeit logisch begründeter und entwickelter Kunst hingewiesen.
Prof. Dieter Honisch, Direktor der Nationalgalerie Berlin und Jury-Vorsitzender, ging in seiner Rede auf Max Bill in der Goslarer Kaiserpfalz zwar nicht direkt auf diesen Aspekt ein, strich aber dafür einen anderen, damit unmittelbar zusammenhängenden Punkt um so deutlicher heraus: Er forderte die Kunst und die Künstler auf, in ihren Hervorbringungen soziale Dimensionen zu entwickeln, die wir verstehen und die für uns Verbindlichkeit haben.
Es könne nicht angehen, daß verfassungsmäßig garantierte Freiräume geschaffen werden, die allein zur Selbstverwirklichung genutzt werden. Das war eine eindeutige Absage an jene Bereiche zeitgenössischer Kunst, die allein der folgenlosen Selbstbespiegelung dienen.
Nach dem Plädoyer Honischs im Vorjahr für den Schutz der noch nicht erkannten Werte von Kunst nun der Bann gegen die Kunst, die außer sich selbst nichts hervorbringt.
Dem Festakt in der Kaiserpfalz fo1gte traditionell die Eröffnung einer Ausstdlung mit Werken des Preisträgers im Mönchehaus (Museum für moderne Kunst): Ölbilder, Aquarelle, Grafiken, Plastiken und Dokumentationen architektonischer Entwürfe vermitteln ein Bild von der Spannweite des Billschen Schaffens. An den Plastiken und Bildern läßt sich vorzüglich studieren, wie der in Zürich lebende Künstler (Jahrgang 1908) aus der Addition gleicher Formen und Volumen Kompositionen und Körper gestaltet, die jenseits der Mathematik zu ihrer Vollendung gelangen. Am stärksten faszinieren jene Bilder, in denen Bill durch die Verteilung der Farben scheinbare Ungleichgewichte schafft, obwohl von der Größe und Zahl der Farbfelder her die Gleichgewichtigkeit der Flächen garantiert ist.
HNA 13. 9. 1982