Ordnung als Schlüssel zur Welt

Der Schweizer Künstler Max Bill starb kurz vor Vollendung seines 86. Lebensjahres. Er war einer der Vorkämpfer des Konstruktivismus.

Bis zur letzten Minute seines Lebens war Max Bill in Aktion. Gerade hatte er in Berlin die Akademie der Künste besucht und wollte nach Zürich zurückfliegen. Da ereilte ihn am Flughafen der Tod. Erst vor kurzem hatte er – nicht ohne Stolz – geklagt, er wisse gar nicht, wie er seine Arbeit bewältigen könne, so sehr werde er mit Aufträgen überschüttet. Der Maler, Grafiker, Bildhauer und Architekt war einer der international gefragtesten Künstler.

Für den Schweizer war die strenge (mathematische) Ordnung der Formen und Farben der Schlüssel zur Welterkundung und zur Neuschöpfung. Die Disziplinierung der Ausdrucksmittel bedeutete allerdings nicht den Verzicht auf Gefühle und Stimmungen. Die vermochte er auch in seinem System unterzubringen.

Der gelernte Silberkunstschmied erhielt seine entschiedenen künstlerischen Impulse beim Studium am Bauhaus in Dessau. Dort wurde er nicht nur vom konstruktivistischen Denken angesteckt, von da nahm er auch die Idee einer ganzheitlichen Gestaltung mit, die ihn sein Leben lang prägen sollte. Als er nach dem Zweiten Weltkrieg die Hochschule für Gestaltung in Ulm aufbauen half (von 1951 bis 1956 stand er ihr als Rektor vor), da ließ er das Bauhaus-Konzept in veränderter Form wiedererstehen.

Max Bill erhielt noch andere Lehraufträge und wurde vielfach mit Preisen, so mit dem Goslarer Kaiserring, ausgezeichnet. Obwohl Max Bill zur zweiten Generation der Moderne gehörte, wurde er bald unter deren Pioniere gerechnet. Mit seinen Arbeiten war er an den ersten drei documenten in Kassel beteiligt. In der Malerei und Grafik trieb Bill intensive Farbstudien, um Bilderreihen zu entwickeln, in denen er in wechselnden oder gleichwertigen Formen und Flächen Farben ordnete. Aus dem Teil das Ganze wachsen zu lassen und in der strengen Systematik auch dem Spielerischen und Lustvollen Platz zu schaffen, war sein Ziel.

In der breiteren Offentlichkeit wurde Bill vor allem als Bildhauer und Gestalter bekannt. Seine großen Skulpturen wurden in zahlreichen Städten zu dominierenden Zeichen. Für die Züricher Bahnhofstraße schuf er auf einer Quadratmeter großen Grundfläche aus 64 gleichen Granit-Elementen eine „Pavilion-Skulptur“ – eine Abfolge von Toren und Arkaden. In Ulm errichtete er ein Monument für Albert Einstein, dessen konstruktive Granit-Stelen aus einem verdichteten Unterbau einen offenen, weiten Raum entfalten.

Aber der Künstler verfolgte nicht nur das strenge konstruktive Prinzip. Ihn faszinierte
auch die Frage des Wachstums und der organischen Verknüpfung. So ließ er für eine Bank in Frankfurt aus einem 500 Tonnen schweren Granitblock die Skulptur „Kontinuität“ entstehen, in der die Massivität des Materials überwunden wird und sich nach der Idee der endlosen Schleife zarte, geschwungene Bänder von innen nach außen ziehen.

HNA 13. 12. 1994

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