Wo Farbe zum Licht wird

Ende der 20er Jahre, als die Malerei des Impressionismus schon ganz Geschichte zu sein schien, versuchte ein deutscher Künstler, impressionistische Grundprinzipien bis zur äußersten Konsequenz umzusetzen: Unter dem direkten Einfluß des südlichen Lichts schuf Paul Baum in Italien eine Reihe monumentaler Landschaften, die so sehr in Sonne getaucht sind, daß sie nur noch aus Helligkeit bestehen. Wie ein Dunstschleier legt sich das flirrende Licht über die Landschaft. Nur zaghaft treten die Umrisse der Häuser und Bäume hervor. Die Sonne hat die Farben wieder zusammengeführt und in nahezu reines Licht verwandelt.

Paul Baum, 1859 in Meißen geboren und 1932 in Santa Lucia gestorben, steht mit diesen Bildern fast einzigartig da (Antonio Calderara ist Jahre später für einige Zeit einen ähnlichen Weg gegangen). Die Kompositionen krönen ein malerisches Werk, das von Anbeginn der Faszination des Lichts gewidmet war. Bereits eines der frühen Hauptwerke, die ‚Mecklenburgische Landschaft mit dem Städtchen Schwaan“ (1885/86), lebt ganz aus der Kraft des Lichts, das in diesem Fall aus der Bildmitte, aus den Weißfeldern der Wolken und der über den grünen Wiesen hängenden Wäsche strahlt. In diesem Gemälde dominieren die Kontraste. Das Licht gibt der Landschaft plastische Gestalt.

Das Gemälde entstand in den Jahren, in denen Baum Schüler an der Weimarer Kunstschule war und zugleich zahlreiche Reisen nach Norddeutschland und in die Niederlande unternahm. Baum reiste viel und wechselte häufig seine Wohnsitze. 1890 kam er erstmals nach Paris und kehrte als ein deutscher Vorkämpfer des Impressionismus zurück. Um die Jahrhundertwende folgten Reisen in den Süden Europas. Auf Anregung Carl Bantzers ließ sich Paul Baum 1915 für kurze Zeit in Willingshausen (Schwalm) nieder, war von 1918 bis 1921 Lehrer für Landschaftsmalerei an der Kunstakademie Kassel und hatte danach Marburg als Wohnort, bevor er sich ganz nach Italien zurückzog.

Baums nordhessischen Jahren verdanken die Städtischen und Staatlichen Kunstsammlungen in Kassel einen reichen Bestand an Gemälden, Zeichnungen, Aquarellen und Grafiken. Den überwiegenden Teil dieser Bilder präsentiert jetzt die Neue Galerie in Kassel, nachdem zuletzt in dieser Stadt 1959/60 ein umfassender Einblick in Baums Schaffen gegeben worden war. Aus Anlaß dieser Ausstellung starten die Kasseler Sammlungen eine neue Reihe von Bestandskatalogen; der 72seitige, mit reichen Bilderläuterungen ausgestattete Band 1 „Paul Baum“ (15 DM) erweist sich hilfreicher Führer.

Im Laufe seines Künstlerlebens hat Paul Baum mehrfach deutlich erkennbar seine malerische Sprache gewechselt. Diese Entwicklungssprünge lassen klare Gruppierungen in der Ausstellung zu. Den Blickfang bildet die oben beschriebene und auch abgebildete „Mecklenburgische Landschaft“, die eingebettet ist in die dunklen vorimpressionistischen Werke. Doch der Blick des Eintretenden wandert von der „Mecklenburgischen Landschaft“ erst mal nach links und rechts zu den neo-impressionistischen Bildern und zu den späten Lichtkompositionen. So wird sofort der Spannungsbogen hergestellt.

Die neo-impressionistische Technik, die Flächen aus streng neben einander gesetzten, möglichst reinen Farbpunkten zu gestalten (Pointillismus), betrieb Baum in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts mit großer Strenge. Doch diese Bilder wirken leer und leblos im Vergleich zu den Kompositionen, die er zehn Jahre zuvor malte und die in dicken Farben sonnendurchglühte Kornfelder zeigen.

In der Eingangszone hängt ein Gemälde, das Lovis Corinth 1908 schuf. Es zeigt Paul Baum im holländischen Sluis beim Aufbruch zum Malen. Die lockere Pinselführung Corinths, die immer wieder in die Nähe der Abstraktion führt, scheint mit dem Malstil Baums nichts zu tun zu haben. Tatsächlich gab es 1908 kaum Berührungspunkte zwischen beiden. Mehr als 20 Jahre zuvor, so beweist die Ausstellung jedoch, hatte Baum gelegentlich Landschaften (vor allem den Himmel) ähnlich verwegen gestaltet.

HNA 12. 5. 1990

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