Auflösende Farben im Licht

Aus der kurzfristigen Absage der Ausstellung des Künstler-Fotografen Floris Neusüss und seiner ehemaligen Schüler (wir berichteten) entstand spontan die Idee, in der Neuen Galerie in Kassel die vorhandenen Bestände von Carl Bantzer zu zeigen. Der aus Ziegenhain stammende Bantzer (1857-1941) gilt als die überragende Figur der Willingshäuser Malerkolonie; er war zudem von 1918 bis 1923 Direktor der Kunstakademie Kassel.

Die Ausstellung kann und will sich nicht mit der Schau messen, die vor einem Jahr in Marburg und Dresden zu sehen war und die die repräsentativen Werke zusammenführte. Die Kasseler Bestände sind dafür zu schmal. Aber durch die Einbeziehung der Zeichnungen sowie einiger Gemälde aus dem Depot wird gleichwohl ein guter Überblick ermöglicht.

Carl Bantzer war als Künstler ein Zerrissener. Er liebte seine Schwälmer Heimat und kehrte immer wieder dorthin zurück. Er lebte und arbeitete aber vornehmlich in Dresden, Berlin und Kassel. Zudem verstand sich Bantzer zeitweise als Verfechter der Moderne, als ein Maler, der sich der Freiluftmalerei und dem Impressionismus anschloss. Er wurde aber ein Gegner des Expressionismus und wurde schließlich fälschlicherweise als Wegbereiter der nationalsozialistischen Kunst vereinnahmt.

Die Kasseler Ausstellung macht sichtbar, dass auch Bantzers Werk diesem Spannungsverhältnis ausgesetzt ist. Im „Waldspaziergang“ von 1913/14 erleben wir eines der Glanzstücke des späten deutschen Impressionismus. Das Gemälde ist voller Bewegung, und in dem Wechselspiel von Licht und Schatten lösen sich die Farben auf. Alles wird durchscheinend und bleibt doch fassbar.
Dank einiger ergänzender zeichnerischer und malerischer Studien gibt die Ausstellung die Gelegenheit, die Entstehung der Komposition zu studieren. Insbesondere die im Format fast gleich große Aquarellstudie werden viele Besucher erstmals sehen und zu schätzen wissen.

Auch in dem Gemälde ..Abend – Hessische Landschaft mit Kornfeld“ erweist sich Bantzer als ein großartiger Maler des Lichts. Seinen besonderen Reiz gewinnt das Gemälde durch die beiden Figuren im Vordergrund, die gerade aus dem Bild zu verschwinden scheinen.

Neben traditionellen Landschaften und Porträts sieht man mit „Mutter und Kind“ ein Gemälde, mit dem Bantzer in die Nähe von Käthe Kollwitz und Paula Modersohn-Becker rückt. Die größte Überraschung bietet die Ausstellung mit der Verdopplung des bekannten Gemäldes eines „Hessischen Erntearbeiters“. Das schmale hohe Bild von 1907, das den Schwälmer Bauern Rupp ganzfigurig in weißer Kleidung vor einem sonnengelben Feld und lilablauen Himmel zeigt, war so beliebt, dass Bantzer auf Bitten des Kasseler Oberbürgermeisters 1935/36 eine Kopie anfertigte. Die Beliebtheit war auch in dem Missverständnis begründet, das Rupp-Porträt idealisiere den deutschen Bauernstand und entspreche dem Wesen der Heimatkunst. In Wahrheit hatte Bantzer Lust an der Darstellung des urwüchsigen und riesenhaft wirkenden Menschen und an der Kraft sich einer frei entfaltenden Malerei.

HNA 16. 10. 2003

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