Ein Maler entdeckt die Natur

Das Marburger Universitätsmuseum widmet dem Werk Carl Bantzers eine große Ausstellung

Der aus Ziegenhain (heute: Schwalmstadt) stammende Maler Carl Bantzer (1857 – 1941) gilt als überragende Künstlerfigur der Zeit um 1900 in Nordhessen. Unauslöschlich ist sein Name mit dem Namen des Schwälmer Malerdorfs Willingshausen verbunden, in dem er viele Sommer verbrachte und wohin er auch mit seinen Kunststudenten aus Dresden reiste. Mit seinen Monumentalgemälden setzte Bantzer einer traditionsreichen Dorfkultur ein Denkmal, und er porträtierte die Menschen dort als stolze und knorrige Charaktere.

Im Marburger Universitätsmuseum, in Kassels Neuer Galerie sowie im Willingshäuser Malerstübchen und im Museum der Schwalm in Schwalmstadt wird Bantzers Werk dokumentiert. Dabei wird es gern auf den Geist der Willingshäuser Malerkolonie, in der Bantzer der führende Kopf war, reduziert. Doch in der Zeit, in der sein Hauptwerk entstand; lebte Bantzer vornehmlich in Dresden und war dort Professor an der Kunstakademie. Der Maler, der in Hessen eher als ein Zeuge einer sich auflösenden Kultur gilt, ist in Dresden als ein Reformer in der Erinnerung geblieben. Bantzer führte dort die Sezessionsbewegung an, setzte an der Akademie die Freilichtmalerei durch und stellte sich selbst als ein Impressionist vor.

Die zwei Seiten Bantzers in einer Ausstellung zusammenzuführen, ist das Ziel des Projekts, das das Marburger Universitätsmuseum und das Dresdner Stadtmuseum gemeinsam auf den Weg gebracht haben. Dritter im Bunde ist das Oldenburger Landesmuseum, dessen Direktor Bernd Küster der maßgebliche Bantzer-Kenner ist. So ist, dank zahlreicher Leihgaben, eine Ausstellung komponiert worden, die weit gehend die besten Werke Bantzers vereinigt. Eine sehenswerte Leistung.

Bereits als 28-Jähriger hat der Maler mit der Tradition gebrochen. Das Porträt seiner
Frau, das er 1885 malte, ist von einer erstaunlichen Frische und Zeitlosigkeit. Auf seinen zahlreichen
Paris-Reisen ist Bantzer frühzeitig mit dem französischen Impressionisten in Berührung gekommen. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts setzte er die Anregungen bei sich um: Er entdeckte die
Natur mit ihren flirrenden Farben und schuf eine Reihe von Frühlingslandschaften, in denen
sich zu Gunsten der Farbflecken die Konturen aufzulösen begannen.

Die reinen Landschaften, die Bantzer in jener Zeit in der Umgebung Dresdens und auch
andernorts malte, gehören zum Besten, was der deutsche Impressionismus zu bieten hat. Nun ist es nicht so, dass Bantzer seine Dresdner Natur-Auffassung in Willingshausen vergessen hätte. Doch in seinen monumentalen Gemälden wurde die Bindung an die Figur und die feste Form stärker. Das aus Kassels Neuer Galerie kommende Gemälde „Frühlingsspaziergang“ (1913) ist als die gelungene Synthese aus realistischer und impressionistischer Natursicht anzusehen. Lichtflecken prägen die Komposition, und die Malweise bringt die Formen an die Grenze zur Auflösung.

Einen ebenbürtigen Höhepunkt bildet das Marburger Gemälde „Schwälmer Tanz“, das 15 Jahre zuvor gemalt wurde und das auf einmalige Weise kraftvolle Bewegung und die Fülle der Farben auf engstem Raum komprimiert und das die Tänzer in den verschiedensten Ansichten zeigt.

Übermächtig wirkt der Bantzer-Saal mit seiner Konzentration der monumentalen Formate. Trotz der malerisch konservativen Grundhaltung imponiert das „Abendmahl“ von 1892, weil in diesem Bild alle Figuren von schräg hinten zu sehen und trotzdem porträtiert sind. Von der Lichtregie und der Farbgebung imponierend, von der Figurenanlage in eine konservative und heldische Sprache zurückweisend, sind die vier Bilder der Serie „Abendruhe“. Sie deuten an, dass Bantzers Aufbruch in die Moderne nur ein Ausflug für zwei Jahrzehnte
war.

HNA 27. 4. 2002

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