Bilder abenteuerlicher Reisen

Der Berliner Maler und langjährige Kasseler Hochschullehrer Manfred Bluth wird mit einer umfangreichen Werkschau in der Neuen Galerie Kassel gewürdigt.

Es gibt Momente, in denen man sich und anderen eingestehen muß, bestimmte Bilder falsch oder zumindest verkürzt gesehen zu haben. Auf einmal gehen die Augen auf, gewinnt der Blick eine neue
Klarheit: Die zur Verabschiedung des Kasseler Hochschullehrers Manfred Bluth (in den Ruhestand) in der Kasseler Neuen Galerie eingerichtete Werkschau schafft das „Realismus“-Etikett, mit dem man Bluths Malerei immer wieder versehen hat, aus der Welt. Bluth stellt sich hier als ein Maler vor, der von seinen abenteuerlichen Reisen in die Geschichte, in die Wirklichkeit und in die Phantasie üppige Bilder mitgebracht und diese mit raffinierten und verwirrenden Anspielungen auf die Kunstgeschichte versehen hat.

Natürlich trifft die Darstellung zu, daß der Berliner Maler Bluth (Jahrgang 1926), seit er 1961 die abstrakte Malerei für sich verabschiedete, unermüdlich gegen den Strom des Kunstbetriebes im westlichen Deutschland schwamm und allen Methoden der Verdrängung widerstand, um mit einigen wenigen Getreuen die Position der realistischen Malerei zu verteidigen. Manfred Bluth ist also ein Realist aus Überzeugung – und aus der unbändigen Lust, für die Fülle der sichtbaren Erscheinungen eine Form der malerischen Darstellung zu finden, die ebenso sinnlich wirkt wie die erlebte Realität. Das gelingt ihm auch in grandioser Weise: Steht man etwa unmittelbar vor der monumentalen Küstenlandschaft „Wolken“ (1990), dann wird man in sie hineingezogen und sieht die Wolkengebirge auf sich zukommen.

Außerhalb der in der freien Natur entstandenen Ölstudien gibt es in Bluths Werk aber nur
wenige Bilder, die sich mit der malerischen Spiegelung der Wirklichkeit begnügen. Bluth will etwas ganz anderes. Er hat die Kunstgeschichte im Kopf seine Vorbilder (C.D. Friedrih, Cézanne, Ensor, Max Ernst) und seine Gegenbilder; zudem ist er voller Hintersinn und Witz. Also benutzt er die realistischen Stilmittel, um zu faszinieren und zu parodieren, um zu zitieren, zu erzählen und immer wieder die Malerei zum Thema seiner Malerei zu machen: In einer magisch blaue Nachtlandschaft begegnen sich (wortlos) Ensor und Max Ernst, auf einer tropischen Insel ist als kuriose winzige Gestalt Alice Wunderland ausgesetzt, und eine Dame unserer Zeit sieht sich in Manets Wohnung zurückversetzt.

Landschaften werden zu monumentalen Kulissen für kleine Dramen, in denen die Konflikt des Salons und Malerei ausgetragen werden. Noch mehr: Die Reihung und Gegenüberstellung der Gemälde aus drei Jahrzehnten öffnet den Blick für Bluths malerische Souveränität. Bei einem Eisbein im „Berliner Spezialitäten Stilleben“ geht er malerisch ins Detail, im „Sizilianischen Stilleben“ hingegen ist die Landschaft im mittleren Bildbereich nur realistisch simuliert. Dort ironisiert er die Impressionisten, da schlüpft er in das Gewand eines Salonmalers und dann wieder erinnert er an de Pop-Künstler Warhol oder tropft wie Jackson Pollock mit der Farbe über ein Ensor gewidmetes Bild.

Manfred Bluths Malerei ist nicht nur gekonnt und faszinierend, sondern programmatisch und hintergründig. Jedes Bild ist ein neues malerisches Aber teuer.

HNA 25. 11. 1991

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