Vier Jahre lang, von 1979 bis 1983, leitete Karl Oskar Blase den Kasseler Kunstverein. Jetzt ehrt diese Institution in ihrem ehemaligen Vorsitzenden den Künstler Blase mit einer 132 Arbeiten umfassenden Ausstellung. Es ist eine in Werkgruppen gut gegliederte und ästhetisch wohl abgestimmte Schau entstanden, in der die Werke im jeweiligen Raum ein eigenes, in sich schlüssiges Bild ergeben, ohne zugleich die einzelne Arbeit zu entwerten.
Die Ausstellungsinszenierung verrät den erfolgreichen und geschmacksbildenen Grafiker Blase. Und seine Bilder zeichnen sich dadurch aus, daß sie nicht den kühlen Designer zu verdrängen suchen, sondern daß sie sich gezielt mit den Mitteln der Gebrauchsgrafik auseinandersetzen. Dieses Reiben an der eigenen Existenz setzt spielerische wie kritische Gedanken frei, es ermöglicht schöpferisches Nachdenken über die Kraft der Bilder und die Faszination der Formen.
Die meisten der hier gezeigten, in den letzten fünf, sechs Jahren entstandenen Arbeiten spielen mit dem Moment der Irritation: Man sieht Tafeln, auf denen sich, sauber in Spalten gegliedert, Zeile um Zeile handschriftlich aufgetragene Texte zu Zeitungs- oder Buchseiten formieren. Erst beim Nähertreten entlarvt man diese mit äußerster Gleichmäßigkeit vollgeschriebenen Zeilen als Leertexte. An Stelle von Wortfolgen findet man Schrifthülsen vor; die Schriftsprache ist auf ihr Profil verkürzt; der Rest ist entleerte Form. Auch eine Botschaft.
Natürlich ist der Ausgangspunkt ganz naheliegend: Wenn Grafiker nach der idealen Gestaltung für eine Text-Bild-Seite suchen, markieren sie häufig die Textteile durch Blindzeilen dieser Art. Wenn Karl Oskar Blase nun diese Technik in seine mit der Tuschefeder gezeichneten Papier- und Leinwand-Bilder übernimmt, dann ist das weit mehr als die Anwendung eines Tricks, dann ist das mühevolles und stundenlanges Hinmalen von Schriftzeichen, die gerade deshalb, weil sie bedeutungslos bleiben sollen, höchste Disziplin erfordern. Die klaren, sich auf Anhieb mitteilenden SchrifttafeIn entpuppen sich als Geschöpfe einer künstlerischen Askese.
Blases Arbeiten spielen aber nicht nur mit der Schrift, sondern auch mit dem Bild: Gefundene Fotografien von Idolen und Schrecknissen, Bilder anderer Künstler oder Motive aus der eigenen Bildwelt. Diese Fundstücke sind eingebunden in die Schrifttafeln, hineinprojiziert als Siebdrucke, fotografisch kopiert oder als Fälschungen von Blase direkt hineingemalt. Vielfältige Gedankenverbindungen stellen sich da ein: mal zwingen sie zur gesellschaftskritischen Auseinandersetzung, dann wieder spielen sie mit der Austauschbarkeit und Gleichwertigkeit der Bilder.
1967 hatte der Kunstverein Blase bereits eine Ausstellung gewidmet. An diese Schau knüpft er jetzt mit einigen wenigen Beispielen an: heiter-farbige Blätter mit teigigen und doch leicht schwebenden Figuren, die leere Profile bleiben. Von diesen Profilfiguren zu den Schriftprofilen spinnt sich ein roter Faden. Und so überrascht es nicht, daß in den jüngsten, wieder stärker malerischen Bildern Teile dieser Profilfiguren wieder auftauchen – eingeritzt in dichte, verschlossene Farbschichten. Die Schriftelemente werden zwar hier zurückgedrängt, doch in den spaltenweise aufgetragenen Farbfeldern als Linien und Rillen noch zitiert. Die Farbe ihrerseits drängt, indem sie die Fläche verschließt, in den Raum. Der Maler Karl Oskar Blase scheint an einem Wendepunkt zu stehen.
Der rational arbeitende Kunst-Professor gibt in einem kleinen Kabinett aber auch lntimes preis: 34 Nachtbildseiten, die er beschrieben und bemalt hat zwischen anderen Arbeiten, um sich zu entspannen. Diese Blätter spiegeln die jeweiligen Tageseindrücke – Bäume, Torsi, documenta-Bildzeichen. Die Schriftreihen wirken dichter, emotionaler, drängender und verwachsen zuweilen innig mit den Bildelementen. Sinnliche Formen überwuchern die Strenge der Kopfbilder. Eine spontane Seite im Werk.
HNA 4. 2. 1984