Die Vor-Bilder der Kunst

Der 2ljährige Peter Blake malte 1952/53 von sich ein Selbstporträt. Zu jener Zeit absolvierte der Brite seinen Militärdienst bei der Royal Air Force (RAF). Und so heißt das Bild auch „Selbstporträt (in RAF-Jacke)“. Das Blau der Jacke mag identifizierbar sein, doch ansonsten glaubt man nicht, hier einen Uniformierten vor sich zu haben. Dazu ist der Oberkörper auch viel zu flüchtig und zu flach gemalt.

Plastisch und realistisch herausgearbeitet, mehr gezeichnet als gemalt, ist hingegen der jungenhafte Kopf, dessen Blick den Betrachter fixiert. Doch der Blick wandert auch an dem Kopf vorbei zu dem Hintergrund, auf den der zeichnende Maler fast ebenso viel Mühe verwandt hat wie auf das Porträt: eine lebhaft-bunte Plakatwand, aus der Circus-Ankündigungen besonders stark hervortreten.

Als Blake dies Bild malte, war noch keine Rede von der Pop-art und deren Auseinandersetzung mit den trivialen Bildwelten (Comic, Film, Show und Werbung). Doch der junge Blake schlug mit seinem Selbstporträt bereits genau die Tonart an, die für den wichtigsten Teil seines Werkes bestimmend werden sollte: Die Plakatwand als Hintergrund macht vorgefundene Alltagsbilder zu Themen der Kunst, wobei das Prinzip Collage (das Neben- und Übereinanderkleben der verschiedenen Plakatmotive), das die Pop-art häufig nutzte, als eine Entlehnung aus der Wirklichkeit vorgestellt wird.

Fast ein Jahrzehnt später, 1961, entstand wieder ein Selbstporträt. Hier nun sind Vorder- und Hintergrund sehr flach, aber malerisch gehalten. Plastisch konturiert hingegen ist die Figur des Künstlers – im blauen Jeans-Anzug und mit einem Elvis-Bild in der Hand. Der Künstler steht nun nicht vor einer Plakatwand, sondern ist selbst dazu geworden: Seine Jacke ist vollgesteckt und -gestickt mit Abzeichen und Buttons (Meinungsknöpfen) für und gegen alle mögliche Anschauungen. Ein Bekenntnis zu einer Aufbruchstimmung jener Jahre, aber auch eine ironische Abrechnung mit ihr.

Auch zu Beginn der 80er Jahre hat der nun mittlerweile 50jährige Blake ein Bild geschaffen, in dem er sich selbst sieht. Das Gemälde „Die Zusammenkunft oder: Bonjour, Mr. Hockney“ bezieht sich in der Konstellation der Figuren direkt auf Courbets „Bonjour Monsieur Courbet“ (1854). Blake huldigt seinem Landsmann (und Kollegen) David Hockney als jugendlichem Courbet unserer Zeit, während er sich selbst als relativ alten, schlichten Mann darstellt. Landschaft und Himmel sind aufdringlich klar und plastisch gemalt; die Attribute unserer Zeit – Werbung, T-Shirt- und Rollschuh-Mode – sind in den Hintergrund gedrängt.

Diese drei Bilder markieren sehr genau die Entwicklung des Malers Peter Blake, der jetzt an einem Punkt angekommen ist, an dem er sich selbst über seinen weiteren Weg nicht klar zu sein scheint. Während sein perfektes Collage-Spiel mit den Postkarten und Pin-up-Motiven und seine bewundernd-ironische Auseinandersetzung mit den Idolen unserer Welt (Elvis, Beatles, Tarzan, Jane…) überwunden sind, setzt sich auf eine merkwürdig ernüchternde Weise sein immer wieder unterdrückter realistischer Malstil durch.

Die Kestner-Gesellschaft Hannover breitet bis 12. Juni das Werk Blakes aus (es ist die etwas verkleinerte Ausstellung der Londoner Tate Gallery). Man lernt dort den Briten als hervorragenden Zeichner und Maler kennen, der auch noch beim Zuordnen von Postkarten und Abziehbildern auf bemalten Türen ein feines Gespür für effektvolle Farbkompositionen unter Beweis stellt. Blakes großes, durchgängiges Thema ist die neuschöpfende Auseinandersetzung mit dem Bild. Am besten und nachhaltigsten allerdings geriet diese Auseinandersetzung immer dann, wenn er die Vor-Bilder seiner Kunst in den Schaukästen der Bars und Ringerhallen, in den Souvenirläden und Spielzeuggeschäften, in den Kinos und Comics gefunden hatte. Der Pop-Künstler Blake scheint unschlagbar zu sein.

HNA 26. 4. 1983

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