Ein Mann und seine Visionen

Mit Ausstellungen in der documenta-Halle und der Kunsthalle Fridericianum wird ab heute Abend documenta-Begründer Arnold Bode geehrt. Anlass ist Bodes 100. Geburtstag am 23. Dezember.

Schon als 22-jähriger Maler hatte Arnold Bode seine erste Beteiligung an einer gewichtigen Ausstellung in der Kasseler Orangerie. Auch an den Orangerie-Ausstellungen der Jahre 1925, 1927 und 1929, die überregional stark beachtet wurden, war Bode als Künstler beteiligt. Seiner Maler-Karriere schien nichts im Wege zu stehen. Trotzdem sollten die Orangerie-Ausstellungen für ihn in anderer Hinsicht Bedeutung gewinnen. Durch sie lernte er zwei Dutzend der Künstler kennen, deren Werke er 1955 in die erste documenta holte und durch sie erfuhr er, wie man eine anspruchsvolle Ausstellung zeitgenössischer Kunst organisiert. Da war die Basis gelegt worden, auf der gut 25 Jahre später die documenta-Idee reifen konnte.

Das ist eine der Facetten, die der Katalog zu der Ausstellung „Arnold Bode – Leben + Werk“ (Hrsg. Marianne Heinz, Edition Minerva, 160 5., 45 Mark) beleuchtet.

So umfassend ist bisher Bodes Wirken noch nicht vorgestellt worden. Kein Wunder, dass man nach Lektüre des Buches das Gefühl gewinnt, die wahre Größe dieses kleinen Mannes werde erst allmählich sichtbar.

Zwei Dinge waren es, die jenseits seiner künstlerischen Begabung Arnold Bode auszeichneten: Seine vorwärts treibende Unruhe, die ihn immer das Nächste fordern ließ, wenn ihm gerade das Eine zugestanden worden war, und seine Kraft zur großartigen Vision, die ihm bis zu seinem Tod im Jahre 1977 erhalten blieb. Natürlich war sein Ideenentwurf für die erste documenta (1955) im ruinenhaften Museum Fridericianum seine wichtigste Vision – weil deren Umsetzung gelang und weil durch sie eine einmalige Ausstellungskarriere begründet wurde. Nun braucht jeder Ausstellungsmacher Visionen, um einen leeren Raum so zu bestücken, dass das Kunsterlebnis in ihm zum Abenteuer wird. Aber Bode besaß die Fähigkeit, für die Kunst auch solche Räume und Bedingungen zu entdecken, dass die Werke eine völlig neue Bedeutung gewinnen konnten.

Eine seiner radikalsten und konsequentesten Ideen war daher, die Gemälde von Rembrandt, Rubens und Hals, die 1956 von ihrer Kriegsauslagerung nach Kassel zurückkehrten, mit weißen breiten Passepartout-Rahmen zu präsentieren. Der sachliche Blick der Nachkriegszeit sollte ein neues Wirklichkeits-Verhältnis zu den Alten Meistern herstellen. Die Präsentation war weitsichtig und heiß umstritten, blieb aber ohne Folgen.

Die aufregendste Vision beschäftigte Arnold Bode in seinen letzten Lebensjahren. Der Mann, der ab 1968 seinen Einfluss auf die Inhalte der documenta verlor und der ab 1972 nur noch als fünftes Rad am Wagen mitlief, arbeitete an seinem eigenen documenta-Projekt.

Wie Harald Kimpel im Katalog belegt, hatte Bode bereits 1959 daran gedacht, das Oktogonschloss unter dem Kasseler Herkules für Ausstellungszwecke zu nutzen. Seitdem er nicht mehr direkter documenta-Akteur war, verfolgte er wie ein Besessener sein Oktogon-Projekt, entwarf Etatentwürfe farbige Ausstellungspläne, warb um Unterstützung. Wäre das Projekt 1977 möglich geworden, hätte es in Kassel selbs eine Gegen-documenta gegeben.

HNA 15. 12. 2000

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