Ein Forum für den Kunstdialog

In Istanbul wurde der Kunstraum „Arter“ eröffnet

Aufbruchstimmung am Bosporus. Die junge türkische und südosteuropäische Kunst meldet sich unüberhörbar in Istanbul zu Wort. Nach dem 2004 am Galata Pier eröffneten privaten Museum „Istanbul Modern“ nahm jetzt an der Geschäfts- und Flaniermeile Istiklal Caddesi der von der Vehbi Koc Foundation initiierte Kunstraum „Arter“ als ein Forum für die zeitgenössische Kunst seine Arbeit auf. Und zwischen beiden Ausstellungsorten laden sechs junge Galerien, die vornehmlich aktuelle türkische Kunst präsentieren, mit einem gemeinsamen Prospekt zum Kunstspaziergang ein.

Für „Arter“ wurde ein genau 100 Jahre altes Geschäfts- und Wohnhaus sorgfältig restauriert. Das schöne, relativ schmale Gebäude bietet auf vier Etagen Ausstellungsflächen. Die besondere Attraktion ist ein Schaufenster zur Istiklal Caddesi, hinter dem als provokativer Blickfang ein Raum füllender, grüner Panzer zu sehen ist, der in regelmäßigen Abständen in sich zusammensinkt, um sich dann wieder stramm aufzurichten und mit einem Augenzwinkern dem Militär-Gefährt eine erotische Anspielung zu unterschieben. Der von Michael Sailstorfer geschaffene Panzer vom Typ „T 72“ ist programmatisch für die 160 Werke von 87 internationalen Künstlern, die in der Eröffnungsausstellung „Starter“ zu sehen sind und die einen Vorgeschmack auf die 400 Arbeiten umfassende Sammlung der Vehbi Koc Foundation geben: Die Ausstellung vermittelt zuerst einen spielerischen und heiteren Charakter, um dann, wenn man sich auf die gezeigten Arbeiten näher einlässt, zu erkennen, dass sie von einer in die Brüche gegangenen Welt berichten.

Die Ausstellung hat der Berliner Galerist und Kurator René Block zusammengestellt, der, seit er 1995 die Istanbul Biennale leitete, der Faszination der aktuellen türkischen, arabischen und südosteuropäischen Kunst erlegen ist. Immer wieder nahm er auf diese Szene Bezug, ob als Leiter der Kunsthalle Fridericianum in Kassel, ob als Galerist oder als Berater der Vehbi Koc Foundation. Insbesondere die 2008 in Berlin gegründete Galerie Tanas, die als ein Forum für junge türkische Künstler und Kuratoren fungiert, und die von ihm herausgegebene Buchreihe mit den Monographien türkischer Künstler, ließen ihn zu einem exquisiten Kenner türkischer Kunst werden.

So lag es nahe, dass er auch den Auftrag erhielt, für „Arter“ die Eröffnungsausstellung „Starter“ zu kuratieren. Es ist eine liebenswerte Ausstellung, die sich aufgrund der Raumverhältnisse eher auf die kleinformatigen Werke der Sammlung konzentriert. Sie spiegelt 50 Jahre Kunstgeschichte und trägt dabei unverkennbar Blocks Handschrift. Mit Hilfe der älteren Werke macht er anschaulich, wie nachhaltig die Avantgarde-Künstler der 60er Jahre wie Joseph Beuys, Nam June Paik, Robert Filliou oder Emmett Williams die Kunst in Frage stellten, die Ausdrucksmöglichkeiten erweiterten und auf dem Feld der Fluxus-Bewegung Sprache, Bilder und Musik auf spielerische Weise verbanden. Die Ausstellung veranschaulicht, wie selbstverständlich die Haltungen und Ausdrucksmittel von den Jüngeren übernommen wurden.

Wenn die Finnin Maaria Wirkkala einen Flügelboden, der mit den in die Luft ragenden Beinen hingelegt wurde und nun als ein zum Teil spiegelndes Bild eingesetzt wird, dann setzt das Spiel auf neue Weise fort, das George Maciunas, Joe Jones, Carles Santos oder Julius Koller mit eingepackten, zugenagelten oder zertrümmerten Klavieren getrieben haben. So lassen sich mehrere thematische Linien durch die Ausstellung ziehen, die zeigen, dass die jüngeren Künstler kraftvoll das Rad weiter drehen. Immer wieder wird das Bild benutzt, um es gegen sich selbst argumentieren zu lassen: Während Ben Vautier mit weißer Schrift auf einem schwarzen Bild behauptet „art is only a question of Signature (and) Date“ und Endre Tot von den Albrecht Dürer-Porträts von Adam und Eva nur die Feigenblätter übrig lässt, dann ebneten sie den Weg zu einer Bildsprache, wie sie Servet Kocyigit pflegt, der in der Tradition eines gestickten Bildes auf einem Großformat verkündet: „Everything you heard about turkish men is true“ .

Immer wieder begegnet man dem Motiv der Umkehrung. Naturgesetze werden scheinbar außer Kraft gesetzt, etwa wenn Sophia Pompéry in einem Video eine Kerze gleichzeitig nach oben und unten brennen lässt oder wenn in dem Video von Diána Keller den Blüten in einem Blumenstrauß die Farbe ausläuft.

Während das „Istanbul Modern“ den vergeblichen Versuch unternimmt, die aktuelle türkische Kunst aus der traditionellen Malerei herzuleiten, bindet „Starter“ die zeitgenössische Kunst Südosteuropas in den westeuropäisch-amerikanischen Rahmen ein, aus dem die heutige Generation global die Haltungen und Mittel bezieht. „Arter“ soll aber nicht nur ein Forum für die Sammlung der Koc Foundation sein, sondern eine Art Kunsthalle, ein Experimentierfeld für junge, vormuseale Kunst. Folglich soll „Arter“ auch kein Museum sein. Allerdings wird das, was dort erprobt und möglicherweise angekauft wird, später mit das Fundament für ein Museum bilden, das die Vehbi Koc Foundation auf dem Gelände des früheren Marinehafens errichten will.

http://universes-in-universe.org/deu/nafas/articles/2010/arter_istanbul

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