Laudatio Angela Hiß – Kasseler Kunstpreis 1998

Die Frage nach der Förderung von Künstlerinnen stellt sich beim Kasseler Kunstpreis nicht: Für die Sparte Bildende Kunst wird der Preis jetzt zum sechsten Mal vergeben, und Angela Hiß ist die fünfte Preisträgerin. Dahinter steht kein Konzept außer dem Versuch einer qualitativen Auswahl. Erst im Rückblick wird klar, wie stark die Künstlerinnen in der nachwachsenden Generation sind.

Angela Hiß ist auf Umwegen zur Kunst gekommen. Wohl gab es bei ihr frühzeitig eine zeichnerische Lust, auch spürte sie einen Drang zur Bildhauerei, doch sie wählte zuerst den praktisch-sicheren Weg und ließ sich zur Ergotherapeutin ausbilden. Die erste Begegnung mit dem Werk von Angela Hiß liegt für mich drei Jahre zurück. Bei dem reizvollen Projekt „Kunsteintrag“ bei Friedland, an dem sich vornehmlich Studenten aus dem Umkreis von Prof. Friedrich Salzmann beteiligten, war Angela Hiß mit einer drei Meter hohen, poetischen Figur an einem Teich vertreten. Ein Jahr später zeigte sie beim Rundgang in der Kunsthochschule einen rohen Stamm, den sie mit der Kettensäge so bearbeitet hatte, dass er oben in einer Nadelspitze auslief. Mittlerweile war Angela Hiß in der Klasse von Dorothee v. Windheim. Dann folgte 1997 die Ausstellung „Innenseite“, bei der ein ausgehöhlter Stamm zu sehen war, der durch plastisch wirkende Farbe fremd und verstörend wirkte.

Für mich stellte sich die Frage: Wo geht Angela Hiß hin? Wir hatten bisher noch keine Preisträgerin, deren Werk so offen schien. Die Ausstellung hier in der Neuen Galerie belegt das: Sie sehen Zeichnungen und Malerei, Holzskulpturen und die Verbindung von Malerei und Skulptur.

Den Ausgangspunkt bilden die Figuren, die Menschen, ihre Körper, Beine und Füße: Menschen im Raum, Beine, die lange Schatten werfen. Die kraftvollen Zeichnungen sprechen beredt davon. Sie sind nur begleitende Studien, aber doch eigenständige Bilder. Hier probiert eine Künstlerin ihre Möglichkeiten aus und bewegt sich von der Wirklichkeit weg zum Surrealen und auch Abstrakten. Körper in Bewegung, Körper in Beziehung – mal kräftig umrissen, mal nur fein gepunktet. Das Reservoir scheint unausschöpflich zu sein.

Daneben Malerei: Verdichtungen, Köpfe und Figuren im Raum und in Beziehung zur Fläche. Der malerische Weg führt schnell in die Abstraktion, verliert sich und findet eine neue Richtung im Dialog mit dem Holz, das lebendig ist und Widerstand bietet.

Auch beim Holz bildete die Figur den Ausgangspunkt. Von der Figur am Teich war die Rede. Dann gab es Skulpturen, aus denen kleine Figuren förmlich aus dem Stamm herausfielen. Aber schließlich ging der unmittelbare figürliche Zusammenhang verloren. Die reine Form setzte sich durch – der Kontrast von Innen und Außen, von Einschnitten in das Holz und narbiger Rinde, von Natur-Farbe und Kunst-Farbe. Angela Hiß ist vom Erzählerischen zum Dinghaften gekommen. Die mit Farbe akzentuierte Skulptur steht nur für sich selbst. Dann gibt es aber doch wieder das Körperhafte. Die jüngsten Arbeiten sind kleine Holzstücke, die Angela Hiß gebleicht und poliert hat. Die natürlichen Unebenheiten wurden so herausgearbeitet, dass man meint auf Knochen- und Hautstücke zu blicken. Eine neue Farbigkeit wird gewonnen.

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