Malstücke oder Das Schweben der Farben

Zu den Arbeiten von Angela Hiß

Ist Angela Hiß eine Malerin, die bildhauert, oder muss man sie als Bildhauerin ansehen, die gezielt und gekonnt die Farbe einsetzt? Nun wissen wir, dass heute die wenigsten der Künstlerinnen und Künstler, die noch im Schatten ihrer Akademie-Ausbildung stehen, auf Techniken und damit auf Kunstsparten festzulegen sind. Andererseits liegt es aber nahe, in den überkommenen Kategorien zu denken, wenn eine Künstlerin wie Angela Hiß über Jahre hinweg so konsequent auf den traditionellen Feldern der Kunst – Malerei, Holzbildhauerei und Zeichnung – tätig ist. Der Versuch, sich in dieser Beziehung eine Gewissheit zu verschaffen, führt zwangsläufig zu der Frage nach dem Wesen ihrer Arbeit. Dieses Wesen kann aber nur erkunden, wer unterschiedliche Annäherungsversuche unternimmt.

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Am Anfang war die Malerei. Auf der ersten Seite ihrer Fotodokumentation der künstlerischen Arbeit im Studium finden sich Abbildungen von drei gemalten Bildern. Die zeichnerischen Elemente in diesen suchenden, einkreisenden Malereien sind zwar nicht zu übersehen, aber im Vordergrund steht doch die Auseinandersetzung mit der Farbe: Verdichtung, Übermalung, Spannung zwischen Fläche und Raum. Eine Zeit lang hat Angela Hiß richtig gemalt. Eigenständige, Anspruch erheischende Kompositionen entstanden – in trockenen Farben. Die Bilder zielten darauf ab, Dinge und Figuren im Raum zu ordnen. Das war kein ungewöhnlicher, aber auch kein unwichtiger Weg. Nur, dieser Umgang mit der Farbe schien mit dem anderen, was Angela Hiß machte, wenig zu tun zu haben. Bis dann im Dezember 1995 und Januar 1996 zwei Leinwände fertig wurden, auf denen die Suche offenbar zu einer Lösung führte. Vor allem über das letzte Bild kann man heute rückblickend sagen, dass mit ihm der Knoten platzte: Die Farbe hatte aus sich selbst heraus die Form gefunden. Sie hatte körperhaften Charakter gewonnen.

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Fast gleichzeitig mit den ersten Bildern waren auch Holzarbeiten fertig geworden: Vom Expressionismus inspirierte Figuren, die spontan anrührten. Unvergesslich ist für mich die Begegnung mit der drei Meter hohen Figur aus Pappelholz, die 1995 ebenso poetisch verträumt wie melancholisch verloren an einem Weiher im Reinhäuser Wald bei Göttingen (in dem Ausstellungsprojekt „Kunsteintrag“) stand. Diesem rohen Riesen auf seinen zwei stelzenartigen Beinen sah man nicht an, dass er für die Entwicklung von Angela Hiß nur eine Durchgangsmöglichkeit markieren sollte. Die Figur ist bald danach weitgehend in den Hintergrund geraten, das Körperliche der Skulptur aber nicht.

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Angela Hiß hat von Anfang an mit dem Holz gearbeitet und nicht gegen das Material. Sie holte die Körper- und Stelenformen aus den Stämmen heraus und ließ sich dabei von den Wachstumsspuren leiten. Sie hat das Holz, den Vorgaben der Natur folgend, für ihre Zwecke benutzt. Den aus meiner Sicht entscheidenden Schritt tat sie1997, als sie von den figürlichen Vorstellungen und Gedankenverbindungen abließ und sich völlig auf das Holz selbst einließ, auf den ausgehöhlten Stamm und seine widersprüchlichen Elemente: die dicke Borke mit ihren tiefen Rillen und schrundigen Oberfläche, die glatt geschliffene Außenhaut mit ihren Astlöchern und Verknorpelungen, die überraschenden Perspektiven beim Blick durch den hohlen, in sich geschwungenen Stamm und die zarten, wie Papier wirkenden Auffächerungen der Holzschichten, die Angela Hiß mit der Stichsäge freigelegt hat.

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In dem Naturmaterial Formen aufzuspüren, die in ihm angelegt sind, und diese dann so zur Entfaltung zu bringen, dass sie das Natürliche wieder vergessen lassen, ist eine der großen Leistungen, die Angela Hiß vollbringt. Auf zwei Arbeiten möchte ich in diesem Zusammenhang hinweisen. Da ist der Lindenstamm, aus dem die Bildhauerin einen U-förmigen Balken herausgeholt hat und den sie so aushöhlte, dass zwei hauchdünne Holzblätter wie lang gezogene Mauern oder Stege stehen blieben. Auf diese Weise ließ Angela Hiß eine Form sichtbar werden, die da war, aber vorher nicht erahnbar war. Ebenso faszinierend ist die schmale Stele, deren linke Hälfte massiv, glatt poliert und gebleicht ist und in deren rechter Hälfte sich das aufgesägte Holz so aufblättert, dass es transparent wird.

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Ihre völlige Verwandlung erfahren diese schwergewichtigen Holzarbeiten allerdings dadurch, dass Angela Hiß sie horizontal und vertikal an den Wänden aufhängt. Urplötzlich werden sie zu rätselhaften Skulpturen, die alle Erdenschwere überwinden, die zu schweben anfangen und zur reinen Form werden. Vor allem dann, wenn Angela Hiß den eigentlich zum Himmel weisenden Stamm querlegt und man horizontal durch die Aushöhlung schauen oder das flache Relief betrachten kann, scheint sich das Holz zu entmaterialisieren und den Blick nur noch auf die unterschiedlichen Ausprägungen der Oberflächen zu lenken, in die das Licht gestaltend einfallen kann.

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Holz ist auch Farbe: Die düstere Eiche, das satte Braun der Buche, die von Gelb zu Weiß reichenden Töne von Linde und Lärche. Schon seit 1995 arbeitet Angela Hiß mit den im Holz steckenden Farbkontrasten, indem sie mal die Rinde schält und dann wieder die Borke stehen lässt, indem sie Schichten von Holzblättern freilegt oder das massive Stück schleift, poliert und bleicht, bis es hautfarben wirkt. 1998 hat Angela Hiß vier Lärchenstücke so geglättet und gebleicht, dass sie sich in Körper-Fragmente zu verwandeln scheinen. Die Künstlerin hat die immanente Farbe illusionistisch aktiviert. Da entfaltet sich die Bildhauerin ungestört.

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Doch seit 1997 kommt bei den bildhauerischen Arbeiten auch die Malerin ins Spiel. Sie setzt die Farbe als autonomes Element ein: Blau und Lila, Rosa und Türkis oder gelbliches Grün. Die Farbe legt sich quer, akzentuiert die Holzskulptur neu – vor allem dann, wenn sie im ausgehöhlten Stamm gegen die Wachstums- und Bearbeitungsstrukturen eine Fläche belegt. Dann gewinnt sie, obwohl nur dünn aufgetragen, pastose, körperliche Präsenz und verwandelt die Skulptur in ein Malstück. Und weil Angela Hiß ihre großen Holzarbeiten jetzt vorwiegend an den Wänden aufhängt, beginnen auch die Farben zu schweben. Sie dringen in den Raum ein und tragen dazu bei, dass der Baum, der Stamm und das Holz abstrakt werden. Das gilt für beide Werkgruppen, die in den letzten Jahren entstanden sind. In dem einen Fall besetzt die Farbe die Aufsichtsfläche des ausgehöhlten und bearbeiteten Stammes; sie nutzt das Holz als Bildträger. In dem anderen Fall erobert die Farbe die Rückseite, die zur Wand weisende Rundung, oder die im ersten Moment nicht erkennbare Innenseite. Dann strahlt die Farbe zur Wand ab und erweitert die Aura der vor der Wand schwebenden Skulptur. Durch diese gegenseitig Durchdringung ganz unterschiedlicher Gesetzmäßigkeiten von herausgearbeiteter Form und aufgetragener Farbe entsteht eine komplexe Wirkung, die die herkömmlichen Kategorien, von denen eingangs die Rede war, überwindet. Damit ist Angela Hiß aber nicht unbedingt an ihrem Ziel. Immer wieder ist sie selbst davon überrascht, wie sich eine Arbeit entwickelt und wie sie zu anderen Lösungen verführt wird.

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Auch das abstrakte Malstück, das aus der Spannung von Material und Farbe lebt, hat nicht die Beziehung zum Körperlichen verloren. Wie wichtig diese Dimension langfristig für die Arbeit von Angela Hiß ist, kann man nicht abschätzen. Immerhin darf man die dritte Ebene, auf der sich die Künstlerin phasenweise bewegt, nicht vergessen – die Zeichnungen. Vordergründig stehen diese Blätter für sich. Sie erzählen von Figuren und Paarbeziehungen, von überproportionalen Armen und Beinen und von ungewöhnlichen Ansichten. Diese Zeichnungen dokumentieren einen ungeheuren emotionalen Themenvorrat, sie berichten aber genau so intensiv von dem Ringen um die Form und von der Suche nach der neuen Perspektive. Die Blätter hätten die Kraft, eine eigene Ausstellung zu bestreiten. Sie wirken ebenso leicht und spielerisch wie packend. Aber sie bilden nur den oft verborgenen Hintergrund zu den anderen Arbeiten. Durch sie wird klar, aus welch großem Fundus Angela Hiß schöpft.

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