Kunst als Chance und Bedrohung

Im nordhessischen Frankenberg hat der Streit um eine vierteilige Skulptur
von Ansgar Nierhoff fast modellhafte Züge gewonnen. Am Montag fällt die Entscheidung.

Der Zufall wollte es, daß der im Westfälischen geborene und in Köln lebende Bildhauer Ansgar Nierhoff (Jahrgang 1941) für einige Jahre im nordhessischen Frankenberg lebte. Vor einigen Jahren, als einige Leute auch die zeitgenössische Kunst nach Frankenberg bringen wollten, erinnerte man sich dessen. Also wurde der mittlerweile prominente Bildhauer, der auch am Skulpturenprojekt in Gotha mitwirken soll, eingeladen, zu den 750-Jahr-Feiern der Stadt einen Beitrag zu liefern. Nierhoff willigte ein und suchte sich bei Ortserkundungen mehrere Plätze aus.

Einer davon war die an die Liebfrauenkirche gebaute Marienkapelle. Die einstige Wahlfahrtskapelle war 1605 von den Bilderstürmern geplündert worden. So blieb der gotische Bau mit den ärmlichen Resten einer früher reichen Ausstattung. Die Kapelle hatte ihre Funktion verloren und war etwas aus dem Blickfeld der Frankenberger geraten. Nierhoff entdeckte sie wieder und schuf für sie aus geschmiedetem Eisen eine vierteilige Skulptur, die den Bezug zur Plünderung herstellt: Eine geteilte runde Scheibe, eine Kugel und ein Stab (jeweils aus dem gleichen Volumen geschaffen) sollen den „Ausgleich nach dem Bildersturm“ herstellen und auf die Architektur verweisen.

Gleichzeitig hatte Nierhoff für die Kirche sogenannte Eisenzeichnungen (Reliefs) angefertigt. Beide Werkblöcke sollten nur für eine begrenzte Zeit dort bleiben. Von den Eisenzeichnungen, die so wirken, als wären sie schon immer da gewesen, waren spontan so viele Menschen derart begeistert, daß der zuständige Kirchenvorstand die für ihn selbst sehr mutige Entscheidung fällte, sie auf Dauer dort zu belassen. Damit hatte der Kirchenvorstand ein Votum für die zeitgenössische Kunst gefällt.

Zum Konflikt kam es, als bald darauf die Freunde moderner Kunst in Frankenberg begannen, für die Idee zu werben, auch die vierteilige Skulptur in der Marienkapelle zur Dauer-Installation zu machen. Sie erreichten sogar, die Hessische Kulturstiftung dafür zu gewinnen, die Ankaufsmittel bereitzustellen. Also würde die Nierhoff-Arbeit der Kirchengemeinde als Geschenk zufallen. Eine einmalige Chance in den Augen jener, die Freunde und Parteigänger zeitgenössischer Kunst sind.

Diese Meinung können viele Frankenberger und vor allem etliche Kirchenvorstandsmitglieder, die am Montag endgültig darüber zu befinden haben, nicht teilen, Sie sehen in Nierhoffs Arbeit für die Kapelle keine Bereicherung, sondern eine unverständliche Verstellung der gotischen Kapelle. Doppelt empfindlich reagieren sie, weil sie sich nun Vorwürfen ausgesetzt sehen, sie seien Kunstbanausen. Haben sie, so ihre Argumentation, nicht Offenheit und Toleranz bewiesen, als für den Verbleib den Eisenzeichnungen votierten? Nun aber fühlen sie sich durch die Kunstexperten und Gutachter unter Druck gesetzt: Warum sollen sie eine Skulptur zulassen und dulden müssen, die sie als sperrig und hinderlich verstehen? Jedes Argument pro Nierhoff begreifen sie als Angriff gegen sich. So wurden 600 Unterschriften gegen Nierhoffs Werk gesammelt.

Eine ausweglose Situation? Vielleicht. Sicher ist, daß die Vermittlung nicht funktioniert hat. Was im Sinne der Kunst hätte helfen können, wirkt nun nachgeschoben, gegen sie. Nierhoffs Skulptur hat nur geringe Chancen. Doch auch dann, wenn die Arbeit abgeräumt wird, hat sie Folgen: Sie hat die Marienkapelle wiederentdeckt und wichtig gemacht.

HNA 4. 11. 1995

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