Die Würde des Museums

Matias Faldbakken: That death of which one does not die – Monica Bonvicini: Both ends

Im Kasseler Museum Fridericianum ist ein Fenster zum Hof verbarrikadiert. Hinter der Holzverschalung verbirgt sich das Hausmeisterbüro, das Christoph Büchel 2008 bei seiner Ausstellung „Deutsche Grammatik“ eingerichtet hatte und das als Geschenk des Künstlers in Kassel geblieben ist. In der Auseinandersetzung mit dem traditionsreichen Gebäude hatte Büchel damals die Plünderung und Zerstörung des Museums simuliert. An Stelle kostbarer Kunstsammlungen waren in der Kunsthalle ein Sonnenstudio, eine Spielhalle, ein Billigladen und in einer miefigen Kneipe eine Stasizentrale zu besichtigen.
Jetzt umschließt im Erdgeschoss der Kunsthalle Fridericianum die Ausstellung des Norwegers Matias Faldbakken (Jahrgang 1973) Büchels Hausmeisterbüro. Diese Schau knüpft in hervorragender Weise an die Inszenierung von vor zwei Jahren an. Denn auch Faldbakken sucht die Auseinandersetzung mit der Würde des Museums und seiner Zerstörung. In dem ersten großen Saal spürt man noch die Erhabenheit eines Museumsraumes. Da hängen, streng geordnet, gleich große gerahmte Bilder. Aus der Distanz wirken die Bilder wie Werke aus der Schule der monochromen Malerei. Kommt man näher, erkennt man auf den dunkelblauen Flächen Zeichen und rätselhafte Botschaften. Sieht man noch genauer hin, erkennt man, dass die vorgebliche Malerei aus glatt aufgeklebten Müllsäcken besteht.
Das heißt: Matias Faldbakken entführt die Besucher in einen Irrgarten der Kunst, in dem das Banale zum Musealen erhoben wird. Dabei wird die faszinierende Wirkung allein durch die Rahmung und die geradezu konzeptuelle Hängung erreicht. Doch wenn man die museale Ordnung für sich erfahren hat, beginnt die Sache schon wieder zu kippen, weil eben diese Ordnung zerstört wird. Denn der dünne weiße Staub, über den man im ersten Saal geht, wird in dem zweiten Raum dicker. Dort erkennt man auch, woher der Staub stammt: Auf dem Boden liegen verstreut mehrere Feuerlöscher. Hier also muss jemand gewütet haben. Von dem Löschschaum ist nur das weiße Pulver geblieben, das man mit den Schuhen in den Räumen herumträgt. Auch die Ordnung der Bilder löst sich dort auf – einige Müllsäcke sind gar nicht mehr gerahmt und hängen eben als das an der Wand, was sie sind.
Die Besucher können ihrer Deutungskunst freien Lauf lassen: Sind hier zerstörungswütige Vandalen eingefallen, oder erhitzte die Hinwendung zum Musealen jemanden so sehr, dass er diese neue Kunst (aus)löschen wollte? Auf jeden Fall setzt Faldbakken mit dieser Installation auf kongeniale Weise die radikale Auseinandersetzung mit dem Ausstellen und dem Wesen des Museums fort, die unter der Leitung von Rein Wolfs immer wieder gesucht wird.

Der niederländische Kurator, dessen Vertrag gerade bis 2016 verlängert wurde, hat aus der Not eine Tugend gemacht. Da sein Etat in keinem realistischen Verhältnis zur Weitläufigkeit der Ausstellungsfläche steht, lädt er bevorzugt solche Künstler ein, die großzügig mit den Räumen umgehen können und dürfen. Auch die in Berlin lebende italienische Künstlerin Monica Bonvicini (Jahrgang 1965), die parallel zu Faldbakken im ersten Obergeschoss der Kunsthalle ihre Arbeiten zeigt, orientiert sich an der Struktur des Museums. Sie reibt sich aber nicht an der Institution, sondern benutzt die unterschiedlichen Präsentationsweisen im Museum – von der Zeichnung über Texttafeln, Installationen, plakative Bilder bis hin zu einer Videoarbeit.
Auch sie liebt und pflegt die radikale Herausforderung. Steht man im Zugang zu dem zentralen Raum im ersten Obergeschoss, dann befindet man sich im Spannungsfeld zweier Provokationen: In dem hohen Saal blinkt in Riesenlettern die von der Decke hängende Leuchtschrift „Built for crime“, und in der Rotunde wird das Auge von einem siebenteiligen Panoramabild angelockt, das kopulierende junge Männer zeigt, die durch ihre Schutzhelme als Bauarbeiter ausgewiesen sind. Das Panoramabild ist eine zugespitzte Antwort auf die Männerwelt am Bau, in der Macho-Sprüche und Pin-up-Fotos in den Umkleiden und Bauwagen an der Tagesordnung sind.
Monica Bonvicini sucht auf ihre ganz eigene Art und Weise die Auseinandersetzung mit der Welt des Bauens und der Architektur. Ihr geht es nicht um die Ästhetik der Gebäude, sondern um die Gedanken und Gefühle der am Bau Beteiligten. So präsentiert sie in dichter Hängung knapp 400 in verschiedenen Sprachen ausgefüllte Fragebogen, die sie seit 1999 Bauarbeiten vorlegt. Diese Reihung ergänzt sie durch Fotos aus dem Bauarbeitermilieu, in dem erotische Bildmotive zum Alltag gehören.
Bauen ist für die Künstlerin etwas zwischen Konstruktion und Destruktion. Unübersehbar wird das angesichts der Leuchtschrift, die unterstellt, da sei etwas in verbrecherischer Absicht errichtet worden. Je länger man sich damit beschäftigt, desto dringlicher werden die Fragen nach der Funktion der Architektur, nach der Gewalt und der Zerstörung. Um dies zu illustrieren, setzt Monica Bonvicini großformatige Zeichnungen von sich auflösenden Bauten ein, Wände mit Texttafeln, in denen das zusammengeführt wird, was wir im Alltag sorgfältig trennen – nämlich intime Gefühle und Vorstellungen sowie das Verhältnis zu Wänden, Mauern und geschlossenen Räumen.
Ein Saal ist durch eine Panzerglaswand (mit Durchgängen) unterteilt. Das dicke Glas, das Schutz bieten soll, weist aber mehrere Einschläge und Sprünge auf. Die vermeintliche Sicherheit erweist sich als Illusion. Monica Bonvicini führt uns vor, dass wir uns auf einem schwankenden Boden bewegen, auf dem Privates und Öffentliches ebenso wenig zu trennen sind wie Geborgenheit und Ausgeliefertsein. Beispielhaft ist das an einer Wand abzulesen, die aus einem Holzgerüst mit Milchglasscheiben besteht, auf die mit Emailfarben Schlagworte und Sätze gemalt sind. Auf vielen dieser Glastafeln geht es um Gefühle, die Räume provozieren. Und mittendrin ist ein Satz zu lesen, der sich direkt auf den architektonischen Umgang mit dem Fridericianum bezieht. Angesichts der Frage, was für Zwischenwände zur documenta 7 (1982) eingezogen werden sollten, schrieb Rudi Fuchs: „Therefore we have finally built real walls.“ Und indem man auf einem transparenten Untergrund von der Entscheidung für gemauerte Wände liest, findet man sich in der ganzen Widersprüchlichkeit wieder, die Monica Bonvcini zum Grundton ihrer Ausstellung gemacht hat.

Katalog: Monica Bonvicini – Both Ends, Kunsthalle Fridericianum und Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 168 S., 34 Euro. www.fridericianum-kassel.de

Kunstforum 205, S. 324f

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