Auf spiralförmigen Bahnen

Eröffnungsrede zur Ausstellung Prof. Kurt Bunge im Dock 4

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

es ist schon einiges zu Kurt Bunges Leben und Werk gesagt worden. Sein Weg von Halle,. von der Burg Giebichenstein, nach Kassel ist den meisten von Ihnen vertraut; und wer ihn nicht kennt, kann ihn mit Hilfe des kleinen Kataloges nachvollziehen. Das muß hier nicht wiederholt werden. Ich möchte vielmehr anhand einiger Bilder auf die Charakteristika von Bunges Werk eingehen.

Vierundfünfzig Jahre liegen zwischen der ersten Ausstellung Kurt Bunges in der Kasseler Galerie Lometsch und der Werkübersicht, die heute vorgestellt wird. Ein gewaltiger Zeitraum, ein ganzes Malerleben. Damals stand der junge Künstler und. Restaurator gerade am Anfang. Das Bild seiner Eltern, .das in einem derben realistischen Stil gehalten ist und das auch hier chronologisch den Auftakt bildet, stammt aus jenem Jahr, in dem Kunstinteressierte in Kassel erstmals auf Bunges Malerei aufmerksam gemacht wurden.

Für mich ist dieses kleine, in braunen Tönen gehaltene Bild der Eltern mehr als eine bloße Erinnerung an den Anfang einer künstlerischen Entwicklung, auch mehr als das Dokument einer privaten Standortbestimmung. Wie leicht könnte man dieses Bild abtun als das handwerklich ordentlich ausgeführte Werk, das eben ganz Kind seiner Zeit gewesen sei?

Ich will es nicht aus der kunsthistorischen Perspektive betrachten. Nein, für mich ist es aus einem völlig anderen Blickwinkel bedeutsam: In diesem kleinen, so konventionellen Doppelporträt gibt sich bereits die malerische Kraft Bunges zu erkennen. Noch mehr: Schon in diesem Bild entfaltet sich Bunges Doppelnatur – seine Liebe zur Welt, die ihn immer wieder dazu verführt, die Formen der Wirklichkeit in üppigen Gemälden abzubilden, und auf der anderen Seite seine unbändige Lust, sich der Farbe und ihrem freien Spiel .auszuliefern.

Die Eltern sind in Feierabendstimmung dargestellt. Sie sitzen, miteinander alt geworden, beieinander; die Mutter ist mit einer Handarbeit beschäftigt, der Vater liest. Ein liebevolles, ein treffendes Bild. Vielleicht wäre es für unsere Augen ganz und gar unauffällig, würde der linke Rand nicht Unruhe in das Bild bringen. Da nämlich hat sich der Maler von der darstellenden Malerei gelöst und, indem er die Architektur andeutete und dabei den linken oberen Bildtei1 akzentuierte, einer fast freien Farbgebung hingegeben. Die Farben sprengen nicht den Rahmen, nein, sie passen sogar sehr gut in die rotbraune Tonigkeit. Aber weder umreißen noch verdichten sie Formen, sondern sie wirken wie freie Improvisationen, die lediglich davon berichten, daß da noch etwas ist. Im Gegensatz zu der ansonsten handfesten Komposition bleibt dieser Bildteil locker und unbestimmt. Hier scheint der Maler ganz andere Interessen im Sinn gehabt zuhaben als die Abbildung einer realen Szene.

Auch ich habe, als ich erstmals einen Einblick in Kurt Bunges malerisches Schaffen gewann, dazu geneigt, sein Werk zu gliedern und zu unterteilen – hier die poetisch- realistischen Bilder, da die abstrakten und dazwischen jene, die beides miteinander verbinden. Ein Maler begegnet der, Moderne, läßt sich auf sie ein und schreckt dann doch vor ihren Konsequenzen zurück? Nein, falsch.

Je länger man sich auf Bunges Bilderwelt einläßt, desto klarer wird, daß die Unterscheidungsmuster ohne Bedeutung sind. Abbildung und Darstellung auf der einen Seite und Abstraktion und Konstruktion auf der anderen sind für Bunge keine Gegensatzpaare. Sie sind für ihn in gleicher Weise Spielmaterial, mit dessen Hilfe er seine, ganz anderen Gesetzen gehorchende Malerei realisieren kann.

Lassen Sie es mich überspitzt formulieren: In einigen seiner Gemälde legt Kurt Bunge zwei Bilder übereinander. Da ist einmal als Gerüst die Figur oder die Landschaft oder das zu Abstraktion und Stilisierung neigende Muschelbild. Über diese zur Erzählung drängende Komposition nun legt der Maler eine zweite, eine, die frei mit der Farbe umspringt, die sie von ihrer
kolorierenden Funktion befreit und sie improvisieren läßt.

In dem “Hafenbild“ von 1949 haben Teile des Himmels und die Wolken nichts mehr mit der Landschaft zu tun. Diese eigenwilligen Formen und drastisch bunten Farben machen sich selbstvergessen als Boten einer freien Malerei breit. Ein Bild schiebt sich über das andere. Ähnliches gilt für das 1988 entstandene Gemälde “Blick auf das Crodel-Haus“. Es ist eine südlich scheinende, farbenfrohe Landschaft, die durch die hoch in den Himmel ragenden Bäume monumental wirkt. Das von weitem sich traditionell realistisch gebende Bild entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein Kampfplatz der Farben. Rote, blaue und weiße Streifen durchmischen sich mit dem Grün der Bäume, selbst die Stämme werden von grellbunten Farbflächen besetzt. Es ist eine zum Motiv fast gegenläufige Übermalung, die die Gewichte neu verteilt und dabei der Gesamtkomposition zu stärkerer Dynamik verhilft. Die darstellende, von der Welt berichtende Malweise wird teilweise aufgehoben. Die mit dem Pinsel geschaffene Tiefe und Räumlichkeit wird zurückgenommen. Die Fläche, setzt sich durch.

Die Revue ließe sich beliebig fortsetzen. In dem einen Bild erscheint die Grundkomposition fester und
unberührter, in dem anderen geht sie in der freien Malerei auf. Im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen und Altersgenossen hat Kurt Bunge nie ein Grundprinzip zugunsten des anderen aufgegeben.

Erklären kann man sich diese Offenheit und Selbstsicherheit (auch im Festhalten am figürlichen Prinzip) wohl damit, daß Kurt Bunge als gelernter und ausübender Restaurator ja in perfektionistischer Weise um die Malerei und ihre Effekte weiß. Er hat es gelernt, Bildpartien der unterschiedlichsten Qualität wieder zum Sprechen zu bringen. Und eben weil er sich auskennt in der Illusionstechnik, kämpft er als Künstler dagegen an, wie er sagt, zu chic zu malen, nimmt er immer wieder etwas von, der geschaffenen Eindeutigkeit zurück und läßt dem Pinsel und der Farbe freien Lauf.

Die Darstellung ist für ihn nur ein Vehikel. Also erinnert er an den Leitsatz, daß ein Bild auch dann für sich stehen und überzeugen müsse, wenn man die Anekdote, das Geschilderte also, von ihm ablöse. Insofern wäre eine Unterscheidung zwischen gegenständlicher und abstrahierender Malweise völlig abwegig. Belegen läßt sich das auch an einem Bildpaar, das ebenfalls hier zu sehen ist: 1955 schuf Bunge den Farbholzschnitt „Schmetterlinge“, der ganz auf Linie und Dreieck setzt. Ein, wenn man so will, duftiges grafisches Blatt, das im Dienst der abstrahierenden Konstruktion zu stehen scheint. Ein Jahr später malte Bunge in frischen kräftigen Farben das Bild seiner Frau Gerda, das der am Expressionismus geschulten realistischen Darstellungsweise zu gehorchen scheint. Doch hinten links erkennt man die malerische Variante des Farbholzschnitts. Deutlicher könnte das Signal nicht sein den scheinbaren Widerspruch zwischen Abstraktion und Abbildung hebt Bunge auf. Beide Gestaltungsformen sind für ihn Bestandteile einer Malerei.

Das gilt bis zum heutigen Tag. Eins gehört zum anderen, beides läuft nebeneinander her. Gerade in der jüngsten Zeit ist eine Vielzahl von leuchtenden Landschaften und Figurenbildern entstanden. Gleichzeitig aber hat Bunge in seiner geliebten Faßmaltechnik eine Serie kleinformatiger Gemälde geschaffen, die sich mit Hilfe quadratischer Muster ausschließlich dem Dialog und Gleichgewicht der Farben widmen. Wer wollte da Trennlinien ziehen oder unterscheiden zwischen dem, was heute gefragt ist und dem, das überholt scheint?

Längst hat sich Kurt Bunge von allen Moden und von dem Bemühen, mit den Tendenzen mitzuhalten, frei gemacht. In den 50er Jahren hatte es einen Zeitraum gegeben, in dem er wie viele in den direkten Sog von Picasso geraten war. Es spricht für ihn, daß er heute noch zu diesen Bildern steht – wie er sich auch zu seinen beiden anderen großen Vorbildern – Matisse und Braque – ohne Einschränkungen bekennt. Kurt Bunge hat die Kunst unseres Jahrhunderts mit Wachheit studiert und aus vielen Quellen geschöpft. Auf diesem Weg ist es ihm gelungen, seine eigene unverkennbare Handschrift zu entwickeln.

Wir pflegen linear zu denken, wenn wir künstlerische Entwicklungsprozesse darstellen wollen. Im Sinne des vermuteten Fortschritts sehen wir auch die Künstler unentwegt voranschreiten. Kurt Bunge aber gehört zu der nicht kleinen Gruppe von Künstlern, die nicht dieser Vorstellung entsprechen. Der Maler hat sich wohl ständig entwickelt, ist aber nicht nach dem Gesetz der Linie fortgeschritten, sondern hat sich auf spiralförmigen Bahnen fortbewegt, die ihn immer wieder auch zu den Anfängen zurückführten.

Um es anders auszudrücken: Ich habe bisher keinen Künstler erlebt, der so intensiv mit seinem Gesamtwerk lebt. Leicht lassen sich die Gemälde auch zeitlich gruppieren. Doch stets aufs Neue wird man dadurch überrascht, daß Bunge Jahre später, nachdem er sich längst davon entfernt hat, ein Motiv wieder aufnimmt und sogar die Malweise von damals. Ja, die Tatsache, daß manche Bilder verloren gingen und das Hauptwerk für ihn über Jahrzehnte in der DDR unzugänglich war, brachte ihn dazu, anhand von Fotos und Skizzen Bilder nachzumalen. Manchmal mögen es Kopien geworden sein, oft wurden es Neuschöpfungen. Diese Haltung verbietet eine chronologische Ordnung seiner Bilder.

Kurt Bunge ist ein lebensbejahender, ein optimistischer Mensch. Also benutzt er immer wieder Landschaftsbilder und Porträts, um seine Liebe zu dieser Welt zu bekunden. Während einiger Zeit, vornehmlich in den 50er und 60er Jahren, malte Bunge dennoch mit dunklen, melancholischen Farben. In den letzten Jahren hat sich die Palette aufgehellt, ist kräftiger und leuchtender geworden. Und Bunge ist radikaler geworden – im Umgang mit den Farben, in der Hingebung an die freie Malerei und im Wechsel der Ausdrucksmittel. Er weiß, wer er ist – auch wenn ihn seine Bescheidenheit daran hindert, es laut zu sagen.

November 1991

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