Das Nie-Fertig-Werden

Ausstellung Johann Rosenboom: Malerei, Kurmuseum Bad Wildungen, 5. 10. 2003

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

gelegentlich hört man die Behauptung, die Malerei sei am Ende. Es sei alles gemalt, was zu malen ist, das fotorealistische Bild ebenso wie das Bild, das überhaupt nichts darstellt. Außerdem sei stilistisch alles ausprobiert worden, was möglich sei. Dann aber gibt es Ausstellungen wie Anfang des Jahres im Frankfurter Kunstverein, in denen eine jüngere Künstlergeneration auftritt, die – ohne sich große Gedanken zu machen, was neu und was möglich sei – darauf los malt und mit überraschend frischen und aussagekräftigen Bildern aufwartet.

Oder es gibt Ausstellungen wie diese, die anschaulich machen, dass der Vorrat an Themen und die Vielfalt der Darstellungen unerschöpflich sind. Wenn man sich in die hier nur ausschnitthaft gezeigte Serie der Bilder mit Paradiesäpfeln versenkt, dann erfasst einen das Gefühl der Unendlichkeit. Die Variationen, die Johann Rosenboom uns verführt, erscheinen unbegrenzt fortsetzbar. Dabei sind das keine willkürlichen Erfindungen. Vielmehr trägt jede der Arbeiten zu diesem Motiv ein Stück Wirklichkeit und Wahrheit in sich. Zugleich zeugen die Bilder von einer grenzenlosen Liebe zur Malerei und zum Licht.

Das Licht konstituiert die sichtbare Welt. Mit seiner Hilfe nehmen wir alles wahr. Und erst das Zusammenspiel von Licht und Schatten gibt den Objekten ihre Plastizität, lässt uns räumlich sehen. Genauso verdanken wir dem Licht und der Brechung seiner Strahlen das Sehen der Farben. Ein Maler, der sich wie Johann Rosenboom darauf konzentriert hat, die Landschaften, Räume und Objekte unter den Bedingungen des wechselnden Lichts zu studieren und der mit jedem neuen Bild erfährt, dass selbst die massivsten Gegenstände weich bis zur Auflösung werden können, wenn das Licht es will, der hat der hat das Spannungsfeld von gegenständlicher und abstrakter Malerei hinter sich gelassen. Für ihn sehen die Fragestellungen anders aus.

Bleiben wir noch einen Moment bei der Serie der kleinen Gemälde und Papierarbeiten zum Thema Paradiesäpfel. Selten habe ich eine so dichte und schöne Reihe gleichartiger und doch völlig verschiedener Bilder gesehen. Ein ganzer Kosmos tut sich auf, die gegensätzlichsten Möglichkeiten der Malerei werden in einer Serie sichtbar, die sich auf ein schmales, unspektakuläres Thema beschränkt. Darin kommt Rosenboom dem italienischen Maler Giorgio Morandi nahe, in dessen letztem Wohnort er meist die Sommermonate verbringt. Nein, in der Malerei selbst, in der Komposition und Farbgebung, ist Rosenboom nur ein entfernter Verwandter von Morandi. Auch liegen ja Jahrzehnte zwischen den Schaffenszeiten der beiden Künstler. Doch in der Haltung, in der Bescheidung auf einige wenige nahe liegende Motive, und in der Besessenheit und Virtuosität, alle denkbaren Variationen durchzuspielen, sind sie sich ähnlich. Es ist dieses Nie-Fertig-Werden mit einem Thema.

Für den Laien, den normalen Betrachter, scheint das nicht sofort erklärlich zu sein. Denn, so meint man, wer malen kann, der kann auch ein so schlichtes Motiv wie ein Stillleben aus Kannen, Dosen und Vasen oder aus Früchten bewältigen. Natürlich sind die Erfassung und Darstellung der Form kein Problem, wenn es um die Gegenstände allein, ohne Raumbezug, geht. Aber die bloße Abbildung ist für die Zeichner und Maler ohne jedes ernsthafte Interesse. Die künstlerische Auseinandersetzung beginnt erst dort, wo die Gegenstände, in diesem Fall die Paradiesäpfel, ihr Verhältnis zum Raum finden: Sehen wir sie von der Seite oder von oben? Worauf liegen sie? Bildet die Unterlage einen farblichen Kontrast, oder nähern sich die Farben der Früchte und des Tisches einander an? Vor welchem Hintergrund sehen wir die Paradiesäpfel? Und vor allem: Woher kommt das Licht? Ist es dämmrig, dass der Raum die Gegenstände aufsaugt? Oder lassen die grellen Strahlen Schatten und neue Farbwirkungen entstehen? Oder reflektiert die Umgebung das Licht?

Sie werden solche und ähnliche Fragen vor den Gemälden und Studien von Johann Rosenboom stellen und sich selbst beantworten können. Für mich ist es immer wieder ein Abenteuer, die Reihe der gleichartigen und doch so gegensätzlichen Bilder zu studieren und mich von ihnen verzaubern zu lassen. Zu sehen, wie die Paradiesäpfel Volumen gewinnen und einen blauen Schattenraum bilden, wie sie sich vereinzeln und sich im gelben Umfeld die Schatten grün einfärben, wie sie vom gelb-braunen Hintergrund fast aufgesogen werden, wie sie sie blaue Licht- und Schattenfarbe selbst annehmen und wie sie sich schließlich, der zeichnerischen Skizze annähernd, fast auflösen.

Die Serie gibt etwas von dem Geheimnis der Malerei preis. Das Faszinierende dabei ist, dass das Thema zwar nie verloren geht, aber das Motiv zum bloßen Anlass wird für das sich befreiende Spiel der Farben unter den sich verändernden Bedingungen des Lichtes.

Die beschriebenen Beobachtungen lassen sich auf andere Motivreihen und Gemälde übertragen. Rosenbooms derzeitiges Werk umfasst drei Bildgruppen – die Stillleben, zu denen die Serie der Paradiesäpfel gehört, die Interieurs und die Landschaften. In einigen der Interieurs hat Rosenboom die Gestaltungskraft des Lichtes (und des Schattens) zugespitzt. Die Bestandteile der Räume reduzieren sich auf Linien, die Volumina lösen sich auf. Auch die Farben scheinen zu verschwimmen, weil die helle und die dunkle Seite des Lichts die bestehende Ordnung auflöst und eine neue, uneindeutige schafft. Die Farben sind reduziert, fast schmutzig. Sie treten zurück und schaffen Raum für eine fast freie Malerei. Ich denke an Bilder wie die „Figur mit beleuchtetem Tisch“, ein Ölgemälde mit fast kreidiger Farbwirkung, in dem die weiße Lichtbahn dominierend wird, oder wie „Blaues Licht“, in dem die blaue Farbe sich selbständig zu machen scheint.

In einigen wenigen Fällen wendet Rosenboom dieses Gestaltungsprinzip auch in seinen Landschaftsgemälden an. Die „Landschaft mit Senkrechten“ mag da als Beispiel dienen. Doch überwiegend sind die Landschaften, insbesondere die Bilder von Städten und Dörfern, beherrscht von dem klaren Aufbau der architektonischen Formen. Die Baukörper und Kuben geben den Kompositionen Ordnung und Rhythmus. Manchmal sind die Straßen- und Stadtansichten so verdichtet, dass man glaubt, sie durch ein Teleobjektiv zu betrachten. Die Dominanz der gebauten Formen und dazwischen wachsenden Bäumen bleibt selbst dann noch bestehen, wenn die leuchtenden, meist warmen Farben ihr eigenes Spiel treiben.

Ob aber sich die Farben kraftvoll entfalten können oder ob sie auf wenige dunkle und helle Töne reduziert werden, entscheidet wiederum das Licht. So finden Sie auch bei den Landschaften dicht beieinander Gemälde, die vor Farben sprühen und die Kraft des südlichen Lichts gespeichert haben, oder Bilder („Piazza Amarina“), die mit wenigen Braun- und Gelbtönen auskommen müssen, weil die Malerei auf Licht- und Schatten-Wirkung reduziert ist, oder Werke, in denen sich ein Dunstschleier über die Landschaft legt und die Farben sparsam und durchsichtig werden.

Jedes der Bilder birgt eine Referenz an die dingliche Welt. Aber sie spiegeln die Welt nicht, sondern reflektieren sie. Im Zusammenspiel von Licht und Farben werden Erinnerungen und Stimmungen eingefangen. Dabei entfaltet sich eine magische Kraft, die hin- und herpendelt zwischen Sprödigkeit und fröhlicher Buntheit. Diese Malerei nimmt die Motive, die sie vorführt, zum Anlass, um sich selbst und ihren Umgang mit den Farben zum Thema zu machen.

Lassen Sie mich noch eine abschließende Bemerkung machen. Der Einladung können Sie entnehmen, dass Johann Rosenboom seit 1981 freischaffender Künstler ist. In dieser Zeit hat er einen eigenen Stil entwickelt, der sich aus Elementen des Expressionismus und des Magischen Realismus herleitet. Sie sehen hier einen nur winzigen Ausschnitt seines neueren Schaffens. Bemerkenswert für mich ist, wie sehr sich der Charakter dieser Malerei bei aller Kontinuität der Handschrift verändert. Das, was ich heute zu dem Werk sagte, hätte ich nicht schon vor zwei Jahren vortragen können, als Rosenboom seine Arbeiten im Göttinger Museum vorstellte.

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