Malerei, die sich ihre eigene Wirklichkeit schafft

Diese Bestandsaufnahme der Malerei von Johann Rosenboom erfolgt zu einem wichtigen Zeitpunkt. Vielleicht dokumentiert sie sogar einen Einschnitt in dem Werk eines Künstlers, der mir vor Jahren schon ausgereift bis zur Perfektion erschien. Es ist, als habe Rosenboom der routinierten Vollendung entgehen wollen, bei der jede Farbe und jede Form ihren eindeutigen Platz auf der Leinwand haben – gleich, ob er Landschaften und Häuserformationen beschwor oder sich auf abstrakte Kompositionen einließ. Der Neuansatz, von dem ich rede, ist nicht total. Auch in jüngster Zeit sind noch Bildreihen entstanden, die von der früheren Haltung zeugen. Doch dieses Nebeneinander ist nicht überraschend bei einem Maler, der bei aller Beständigkeit seiner Arbeit Themen und Techniken seriell verfolgt und der auch Bilder über längere Zeit halbfertig stehen lassen kann.

Vor etwa zehn Jahren schuf Rosenboom Gemälde, deren kontrastierende Farben bewundernswerte Harmonien hervorbrachten. Die klar hinter- und nebeneinander gesetzten Farbblöcke und –streifen fügten sich zu plastischen und rhythmisierten Farbräumen. Dabei dominierten die südlichen Landschaften, in die die Betrachter hineingezogen wurden. Die sogenannten freien Kompositionen unterschieden sich nur geringfügig davon. Es waren meisterhafte, souveräne Bilder, die wie ein faszinierendes Echo auf die Expressionisten und magischen Realisten wirkten. Die besondere Qualität lag darin, dass die Farben nicht illustrativ eingesetzt waren, sondern aus ihnen selbst die Flächen und Körper wuchsen. In jedem Bild lag etwas Großartiges, eine Nähe zur Dramatik.

Wieso bleibt ein Künstler wie Rosenboom nicht auf dieser Linie, sondern bricht ab, kehrt um und beginnt neu? Vielleicht, weil er fürchtet, der Glanz könne zur Glätte werden. Oder weil er sich nicht in der Wiederholung ermüden will. Schließlich malt ein Künstler nicht von Bild zu Bild weiter. Vielmehr konstituiert er mit jedem Werk, das er beginnt, seine Malerei neu. Dazu passt Rosenbooms Kommentar, er bewege sich immer noch tastend im Spannungsfeld zwischen konkreter Form und freier Komposition, er sei weiter auf der Suche nach der eigenen Malerei.

Noch auf der Suche? Ich denke, dass der nagende Selbstzweifel und die Attitüde des immer wieder Neubeginnens Kennzeichen künstlerischer Größe sind. Nur da, wo sich die Kunst selbst in Frage stellt, kann sie auch zu neuen Lösungen gelangen oder über sich hinauswachsen. Ein nicht unwesentlicher Impuls mag davon ausgegangen sein, dass Rosenboom sein italienisches Sommeratelier in dem Ort hat, in dem Giorgio Morandi wirkte , der in asketischer Weise sich allem Dramatischen versagte, um sich auf das Naheliegende und Einfache zu konzentrieren. Wie schon Ce´zanne beschränkte sich Morandi auf einige zentrale Motive , um ihnen ihr malerisches Wesen abzuringen. Es sind nicht der Malstil und die Kompositionsweise, die Rosenboom mit den beiden großen Vorbildern verbinden, sondern die Haltung, das fundamentale, nie von Zweifeln freie Interesse an der Malerei.

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Johann Rosenboom hatte eine Phase, in der er den magischen Realisten nahe kam. Als er kürzlich eine Sammlung tagebuchartiger und aphoristischer Aufzeichnungen unter dem Titel „Immagini come Magia“ (Bilder sollten magisch sein, Campanotto Editore, Le Carte Nascoste 17, 2001) herausgab, bedeutete das keine Rückbesinnung auf die frühere malerische Haltung. Vielmehr ist meiner Einschätzung nach mit dem Titel jene magische Kraft des Malerischen gemeint, die im Auftragen der Farbe auf die Fläche sich ihre eigene Wirklichkeit schafft. Dass Rosenboom das selbst so sieht, ist in der kleinen Schrift auf Seite 38 zu lesen: „Skizzen von konkreten Orten. Diese Formen werden gegliedert, zerstört und verändert während des Malens. Visuelle Notizen werden so umgeformt in eine neue Wirklichkeit…“

Ausgangspunkt ist, wie Rosenboom mehrfach betont, die Natur. Ohne das intensive Erleben gibt es keine Bilder, ohne die Impression keine Expression. In seinem Atelierhaus in Grizzana-Morandi hat sich Rosenboom einen Fensterplatz geschaffen, von dem aus der Blick weit über das Tal hinaus auf die Berge der Emilia Romagna geht: Die Landschaft als großartige Bühne im Wechsel des Lichtes – sehen wie sich die Farben und mit ihnen die Formen verändern. Hier bleicht die Sonne die Farben aus, da sorgen Schatten für scharfe Konturen und dann wieder verschwimmen die Formen. Nur wer die Wandelbarkeit der Natur fortwährend studiert, kann dem Bildern zu ihrer Dynamik verhelfen: „Die Welt erscheint nah und entrückt, klar oder verschleiert, hell und dunkel“ (Seite 33). Dabei ist der Fensterplatz nicht der Malplatz, der Ausblick nicht unbedingt das gesuchte Motiv. Hier geht es eher um das Generelle: An dem Fenster zu sitzen, so stelle ich mir vor, heißt für Rosenboom, sich der Möglichkeiten zu vergewissern, die ihm zur Verfügung stehen.

„Ich möchte die reine Malerei, die sich aus sich selbst entwickelt,“ heißt auf Seite 41 der kleinen Schrift. Ich glaube, Rosenboom ist in den letzten Jahren diesem Ziel näher gekommen. In der Vergangenheit verstand ich unter reiner beziehungsweise konkreter Malerei vornehmlich jene, die sich von vorbildhaften Formen löst und sich ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Wenn ich jetzt im Blick auf Rosenbooms Werk von reiner Malerei spreche, dann gilt nicht länger der Gegensatz zwischen freier und abbildhafter Kunst. Das Naturerlebnis und die Anekdoten können nach wie vor die Kompositionen prägen, doch die Frage, wie stark der Abstraktionsgrad ist, spielt keine Rolle mehr. Jenseits von Abbild und abstrakter Malerei entstehen Farbräume von neuer Qualität.

Eine Voraussetzung dafür ist, wie eingangs erwähnt, dass sich Rosenboom in seiner Kunstfertigkeit scheinbar zurückgenommen hat. Seine Malweise ist einfacher, roher und bescheidener , dafür aber auch grundsätzlicher und forschender geworden. Gleichzeitig wurde bei vielen Kompositionen die Palette begrenzter und dunkler. Es ist, als wäre eine Dämmerung hereingebrochen, die alle Farben dämpft und die die Erscheinungen verschwimmen lässt. Die gemalten Bilder werden zu Erinnerungen an Bilder, zu Reflexionen über das Ursprüngliche: Was ist ein Tisch und ein Raum, wo setzt die Farbe ein und wo strahlt sie noch aus?

Beim Betrachten der Bilder muss ich unwillkürlich an ein Gedicht von Günter Eich denken, das mich als Schüler fesselte, weil es ein Dokument der umfassenden Bestandsaufnahme und Selbstfindung ist. Eich schrieb das Gedicht „Inventur“ 1945, unmittelbar nach dem Zusammenbruch. Die ersten vier Verse lauten:

Dies ist meine Mütze,
dies ist mein Mantel,
hier mein Rasierzeug
im Beutel aus Leinen

Über viele Zeilen setzt sich das fort: Sich darüber klar werden, was geblieben ist und woraus die Welt besteht, zurückgehen zum Einfachen. Das hatte für viele Überlebende und Davongekommene etwas Existenzielles. Man fing neu an.

Die Situationen sind nicht vergleichbar, doch die Mittel zu denen Rosenboom greift, ähneln denen, die Eich nutzte. Nicht nur die großartigen Landschaften sind Thema der Malerei, sondern die gewöhnlichen Dinge aus der nächsten Umgebung – der Tisch und der Stuhl, die Gefäße und das Zimmer, die Häuser und die Bäume. Aber es ist nicht nur die Besinnung auf das Naheliegende, die Rosenbooms Bilder der jüngsten Zeit auszeichnet. Damit verbunden ist eine Vergewisserung der elementaren malerischen Mittel.

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Vor jedem Beginn der Arbeit an einer Komposition stehen Entscheidungen: Welche Leinwand, welche Pinsel, welche Farben und welches Thema? Die Frage nach dem Wesen des entstehenden Bildes beantwortet sich durch die Auswahl. Dies also ist nicht gemeint, wenn ich davon spreche, dass Johann Rosenboom in vielen seiner Bilder aus den letzten zwei Jahren malend die Möglichkeiten der Malerei überprüft. Ich denke eher, dass es um die Grundfragen geht: Was ist Linie und was Form? Wo beginnt die Fläche und wo endet der Raum? Folgt die Farbe der Form oder sucht sie sich ihre eigenen Wege?

Das Ende der Malerei ist in den vergangenen 100 Jahren oftmals verkündet worden. In der Tat stützten wichtige Indizien diese Behauptung. Mit der Fotografie und den neuen Medien wurde die Malerei nicht länger für die direkte Auseinandersetzung mit der sichtbaren Welt gebraucht. Außerdem war, so schien es, alles gemalt, was zu malen ist. Trotzdem wurde und wird weiterhin gemalt. Nicht etwa nur, weil sich einige Künstler nicht von dem sinnlichen Erlebnis der Farben trennen können, sondern vor allem deshalb, weil sich die Möglichkeiten der Malerei nicht in der Alternative Abbildung – freie Komposition erschöpfen. Johann Rosenboom hat verdeutlicht, dass sich die in Schichten bemalte Fläche zu einem vitalen Bildraum öffnen kann, in dem etwas fassbar wird, was sonst kein Medium zu bieten hat. Dabei geht er konsequent und radikal vor.

Spätestens seit Ce´zanne und den Kubisten wissen wir, dass auch das illusionistisch gemalte Bild eine Fläche bleibt. Rosenboom baut darauf auf, begnügt sich aber nicht damit. Er macht die raumbezogenen Kompositionen als Flächenprojektionen bewusst, um dann vorzuführen, wie diese Fläche ihre eigene Plastizität gewinnt, wie sich abseits der Wirklichkeit eine neue Räumlichkeit entwickelt. Das Bild, das dabei entsteht, nutzt das Abbildhafte nur als Folie, auf die die Malschichten gelegt werden. Der Blick klammert sich zwar schnell an die gegenständlichen Formen, die durchscheinen, doch die sind nicht mehr als Leitlinien in einer Fläche, in der sich die Farben frei entfalten.

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Johann Rosenboom hebt in seiner Malerei nicht den Raum auf. Er hilft ihm sogar, plastisch zu werden. Doch dann vernachlässigt er ihn, lässt ihn unwichtig werden, weil sich Vorder- und Hintergrund vermischen, weil die Farbe den Raum auflöst. Zuerst denke ich in diesem Zusammenhang an das Bild, in dessen Dämmerlicht Rot- und Brauntöne dominieren und in dessen Mitte von rechts ein Tisch hineinragt. Auf der Platte sind ein paar Dinge zu erahnen, am deutlichsten sieht man einen geöffneten Kasten. Die rotbraunen Töne scheinen vom Tisch aus in den Raum abzustrahlen.

Die Farben halten sich nicht länger an die ihnen vorgegeben Formen, sie überdecken die anderen Flächen. Man spürt das sparsam einfallende Licht, das den Grün- und Ockertönen im Hintergrund Darstellungskraft gibt. Der so hart angeschnittene Tisch und die nur knapp angedeutete Räumlichkeit dokumentieren unübersehbar, dass das Motiv benutzt wird für malerische Improvisationen. Gleichwohl ist das Motiv nicht unwichtig. Es gibt Orientierung und es ermöglicht erst den Raum, in dem die Malerei ihr Spiel treiben kann. Das Motiv ist also nicht nur Vorwand. Es ist Forschungsgegenstand. An ihm wird erprobt, wo das Volumen eingeebnet werden kann, wo sich ein Objekt auf seine Umrisslinien zurückzieht und wo die Farbe sich nicht länger binden lässt.

Rosenboom hat eine Serie von Stillleben geschaffen, in deren Mitte jeweils ein runder Tisch zu sehen ist, auf dem Gefäße stehen. Die einen Bilder haben ein höchst reduzierte Palette, die anderen leuchten in kräftigen Tönen. Faszinierend ist zu sehen, wie durch ein paar helle Felder das Licht in die Kompositionen geholt wird, ohne dass man genau sagen könnte, woher es kommt. Denn die Bilder scheinen in ein Kräftemessen der Farben gezogen, in dem es keine festen Ordnungen mehr gibt, sondern nur noch diffuse, sich einander überlagernde Zonen. Einzig die vom Licht konturierten Schattenkanten der Gegenstände geben Halt und projizieren Raumillusionen, die nur schemenhaft vorhanden sind. Und je länger man hinschaut, desto stärker ist die Wirkung, desto größer scheint die Nähe zum räumlich konkreten Bild zu sein und desto harmonischer tritt die Komposition hervor.

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Von diesen Stillleben lassen sich verschiedene Richtungslinien verfolgen, auf denen sich Rosenboom bewegt hat. Drei mögen hier verfolgt werden: Eine führt ins scheinbare Chaos, in dem sich die Farben wild und fleckenhaft verteilen und die Möbel eines Zimmers auf zeichenhafte Konturen reduziert werden. Jenseits der Kolorierung suchen sich die Farben in dem Raumstillleben ihre Orte. Gleichwohl sorgt das Licht im Untergrund für Ordnung und lässt eine in ihrer Vollendung angedeutete Komposition durchscheinen.

Auf einer anderen Linie gelangt man zu Bildern, die Rosenboom aus dicht beieinander liegenden Farbtönen aufgebaut hat – wie etwa in jenem Stillleben, in dem Weiß-, Grau- und Brauntöne vorherrschen. Dieses Bild ist von einer strengen, fast geometrischen Struktur geprägt. Die Stillleben-Objekte aber bewegen sich auf der Grenzlinie von Raum und Fläche. Je nachdem, wie die eigene Seherfahrung ist, wird der eine Betrachter das Gemälde plastischer sehen, der andere flächenhafter. Dieser Schwebezustand macht die Komposition ebenso geheimnisvoll und fesselnd wie die intensive Wechselbeziehung der Farben zwischen Vorder- und Hintergrund. Alles scheint eins zu werden und lässt dennoch Raum für Differenzierungen. Das räumlich gedachte Bild konstituiert sich und hebt sich zugleich auf.

Eine dritte Linie führt zu den Bildern, in denen sich die Farben nicht bloß von den Gegenständen, zu denen sie gehören, lösen, sondern in denen sie solche Dominanz gewinnen, dass sie atmosphärisch alles übertrumpfen. Ich denke zuerst an die Komposition, die fast ausschließlich von Braun-, Rot- und Gelbtönen bestimmt wird. Man blickt in ein räumlich gestaffeltes Zimmer, in dem die schwarzen Kantenlinien des Mobiliars für die Perspektive sorgen. Den Hintergrund bildet vermutlich eine Fensterfront, durch die gelbliches Licht in den Raum fällt. Alles ist Farbe, von denen Formen bleibt nur Gerüstfragmente. Das in das rote Zimmer fallende Licht fächert die Farbtöne auf. So entstehen zwei Bildebenen. Auf der unteren sehen wir skizzenhaft den Raum und seine Struktur; auf der darüber liegenden Ebene entfalten und verdichten sich die Farben, ohne die Struktur zu zerstören. Die Malerei hat den Farben zu einer höheren Durchsetzungskraft verholfen. Indem sie die Objekte und Räume in ihrer Bedeutung zurückstuft, löscht sie sie nicht aus, sondern setzt sie wie eine Vorzeichnung voraus, über der die Farben, ohne an strenge Formen gebunden zu sein, ihre Raumwirkung erzielen können.

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Ich habe mich auf einige wenige Aspekte im Werk von Johann Rosenboom bezogen, die in jüngster Zeit unübersehbar wurden. Diesen Neuanfang als einen Bruch zu sehen, ist sicher richtig, zumal die Sehnsucht nach der Einfachheit und Ursprünglichkeit ein Wesenszug künstlerischer Haltung ist. Rosenboom hat damit begonnen, malerisch Inventur zu machen, an alltäglichen und unscheinbaren Dingen zu erproben, wie Objekt, Raum, Fläche und Farben aus ihren festen Bezügen befreit und in ein neues Wechselspiel gebracht werden können. Indem er auf diese eigene malerische Wirklichkeit hinarbeitete, verabschiedete er sich nicht vom Gegenständlichen, sondern reduzierte es in seiner Bedeutung auf eine bloß dienende Funktion. Allerdings fördert die Auseinandersetzung mit diesem Neuansatz zwei überraschende Erkenntnisse zutage. Zum einen merkt man beim intensiven Vergleich der Bilder (auch mit solchen aus früherer Zeit), dass die neueren Werke gar nicht so weit weg liegen. Je länger man sie studiert, desto transparenter wird ihre rau und grob scheinende Oberfläche. Im Untergrund bleibt die auf den harmonischen Zusammenklang ausgerichtete Komposition bewahrt. Manchmal erhöhen die darüber gelegten Farbimprovisationen sogar die Wirkung.
Zum anderen spürt man, dass der Ansatz, beim Malen die Grenzmöglichkeiten der Malerei zu erforschen, bei Rosenboom seit längerem zum Prinzip gehört. Der vollzogene Bruch bedeutet also keine Umkehr, wie es auf den ersten Blick scheint, sondern Intensivierung und Zuspitzung.

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