Eine der bisher geschlossensten und faszinierendsten Ausstellungen im Solinger Raum wurde jetzt im Mumms eröffnet: Die in Düsseldorf lebende 26jährige freischaffende Künstlerin Gabriele Grosse zeigt Radierungen, Federzeichnungen und Aquarelle. Dem Solinger Publikum hat sich Gabriele Grosse schon mit drei Arbeiten in der diesjährigen Bergischen Kunstausstellung vorgestellt.
Das Grundmotiv fast aller Arbeiten sind als Folge jugendlicher Albträume Käfer, Puppen und Larven, die Gabriele Grosse zeichnerisch zu fixieren versucht. Zu Anfang entstanden Zeichnungen, in denen Käferarten fast wie im Naturkundebuch abgebildet wurden, in denen sich die Künstlerin an ihre Motive herantestete, sie zu benennen suchte und die prägenden Formelemente herausarbeitete: Das Bemühen um wissenschaftlich wirkende Genauigkeit wird durch die klare, zarte und auf das Umrißhafte konzentrierte Linienführung bildlich widergespiegelt.
Gabrielle Grosse hat auf diese Weise eine regelrechte Käferkunde geschaffen. Doch schon bald entstehen Arbeiten, in denen ganze Gruppen von Käfern, Larven und Puppen zu Formationen zusammengefügt werden, in denen friesartige Flächen ausgebildet werden und in denen sich die Details der Käferpartien verselbständigen und zu reizvollen grafischen Gebilden züsammen wachsen. Eine Vielzahl von empfindsam-feinnervigen Federstrichen fügen die schon verfremdeten Formelemente zu neuen Körpern zusammen.
Im Laufe der Zeit verstärkt sich der Abstraktionsprozeß: Uberdimensionierte und miniaturisierte Ausschnitte werden flächig gegeneinander gestellt oder räumlich komponiert. Die zeichnerische Fixierung der Käferformen ist beschränkt auf wenige beherrschende Linien, die Felder begrenzen, die durch sauber gesetzte oder grob gespritzte Punkte Schattierung und Tiefe gewinnen.
Federzeichnungen dieser jüngeren Stufe sind in erster Linie im Mumms zu sehen. Dem flüchtigen Betrachter wird das immer
wieder beschworene Käfermotiv entgehen, weil die rein grafische Komposition, das Gegeneinandersetzen von harten Linien und weich schattierten Flächen, die Konfrontation von ins Leere auslaufenden Feldern und stark konturierten Form-Zusammenballungen überwiegen. In diesen Zeichnungen erweist sich Gabriele Grosse nicht nur als diszipliniert-talentierte Zeichnerin subtiler Formen, sondern auch als eine Künstlerin, die es versteht, aus simplen Motiven faszinierende Flächen
zu gestalten.
Gabriele Grosse, die 1966 ihr Kunststudium als Meisterschülerin beendete und die 1967 ein Stipendium des Bundesverbandes der Deutschen Industrie erhielt, zählt zu den wenigen Künstlern der jungen Generation, die sich auch der Gobelintechnik widmen und die auch in dieser Technik überzeugen. Aus der Wechselwirkung von Gobelinarbeit und Zeichnen ergeben sich fruchtbare Ergänzungen.
Da ist einmal die Tendenz zu räumlicher Gestaltung in den Zeichnungen, die besonders dort zum Ausdruck kommt, wo Gabrie Grosse das Käfermotiv in mathematisch fast verspielt erscheinende Käferpartien in Kreisformen oder in dichte Netze von Koordinatenlinien eingetragen hat. Die Figurenelemente sprengen aber diese engen Formen, die Kreise öffnen sich oder die Koordinatenfelder lösen, sich zum Rande hin auf, so daß auch hier die eigenwillige belebende Komposition überwiegt.
Eine völlig neue Dimension hat sich nun Gabriele Grosse mit einer Reihe zartester Aquarelle erschlossen. Hier haben sich die ursprünglichen Figurationen fast völlig in Flächen aufgelöst, die ineinander übergehen oder gegeneinander gesetzt sind, Zarte Porzellanfarben schaffen Tönungen, die die Grundzeichnungen leicht überdecken oder herausheben. Diese einfach schönen Aquarelle sind in ihrer nachhaltigen Wirkung noch beeindruckender als die Zeichnungen.
RP 29. 5. 1968