Der in München lebende Olaf Metzel erhält heute den Arnold-Bode-Preis in Kassel. Gleichzeitig wird eine Ausstellung von ihm im Kasseler Kunstverein eröffnet.
Das Objekt, um das es geht, wäre wie folgt zu beschreiben: Es ist ein großes, langgestrecktes Wandbild, das zum Rechteck wächst, aber an den Rändern so ausgerissen ist, daß es Torso bleibt und kippt. Ist es wirklich ein Bild? Wohl doch. Denn je länger man sich darauf einläßt, desto intensiver werden die Farben und die manchmal überraschenden Wechsel vom tristen Grau zum spröden Grün. Aber es ist keine Malerei. Das Material ist Beton – gegossen in vertraute Formen des Alltags. Ein gewaltiges Relief aus sich ständig wiederholenden Strukturen. Aber es sind nur scheinbar Abgüsse aus Eierkartons, denn das gehört zu Olaf Metzels Technik – daß er seine Objekte und Skulpturen nur dem Anschein nach direkt der Wirklichkeit entnimmt. Er formt sie nach, modelliert sie um, vergrößert sie, um das Gewöhnliche auffällig werden zu lassen und in dem Wiedererkennbaren Situationen abzubilden.
Die ihm vom Kasseler Kunstverein angebotene Ausstellung anläßlich der Verleihung des Arnold-Bode-Preises an ihn nutzte Olaf Metzel, um seine 1987 zur documenta geschaffene Wandarbeit in veränderte Form erneut im Museum Fridericianum zu präsentieren. Damals waren zwei Reliefs an den Wänden zweier sich gegenüberliegender Treppenhäuser angebracht und von vielen Besuchern gar nicht wahrgenommen worden. Metzel, der sich immer auch (kritisch) mit der Architektur auseinandersetzt, war auf die Grundform des Eierkartons angesichts einiger Fassadenverkleidungen von Geschäftshäusern in Kassels Innenstadt verfallen.
Nun sind die beiden Reliefs zu einem Tableau zusammengefügt. In dem langgezogenen Raum erhält die Arbeit eine neue Präsenz. Sie wirkt massiver und nun auch raumbestimmend, und ihre farbige Qualität wird erst richtig spürbar. Doch noch etwas anderes passiert: Während die Reliefs in den Treppenhäusern eher für sich standen, ergibt sich nun ein lautstarker Dialog mit dem Raum und seinen architektonischen Ungereimtheiten. Die schrägen Bruch- und Schnittstellen an den Rändern lassen das Bild und damit den Raum kippen.
Der aus Berlin stammende Metzel (Jahrgang 1952) will nicht gelten lassen, daß seine Kasseler Arbeit stiller und auf sich bezogener sei als die meisten anderen. Er wolle gar nicht, wie ihm schnell unterstellt wird, mit seinen Arbeiten verstörend wirken, sondern aufzeigen. Aber dann räumt er doch ein, daß er das Subversive suche, wenn er in vorgefundene Situationen eingreife. So schuf er 1987 für den eleganten Kurfürstendamm in Berlin eine Skulptur aus vergrößerten, übereinander getürmten Absperrgittern; und in den Innenhof des postmodernen Gebäudes für das Münchner Goethe-Institut stellte er ein Gegenbild zur glatten Architektur – einen
Turm aus drei ineinander verkeilten Wendeltreppen.
Olaf Metzel sieht die Ausdrucksmittel der herkömmlichen Bildhauerei als verbraucht an. Darum holt er seine Formen aus der Realität, überträgt sie auf eine andere
Sprach- und Materialebene urndbaut aus ihnen Bilder, in den sich die Wirklichkeit spiegelt. Gelegentlich drängen sich die subversiven Elemente dieser Situationsbilder auf, manchmal aber verbirgt sich das Kreative im Alltäglichen.
HNA 16. 12. 1994