Ausstellung Rosenboom und Gerstgrasser bei Plansecur

Eine Doppelausstellung, in der ein Maler und ein Holzbildhauer ihre Werke zeigen. Beide Künstler leben und wirken seit mehr als drei Jahrzehnten in Kassel: Johann Rosenboom und Siegfried Gerstgrasser. Sie ergänzen sich gut, da der eine die Wände braucht und der andere den Stellplatz und den Raum. Doch damit erschöpft sich auch das Verbindende – es sei denn, man wollte auf das gemeinsame Interesse beider Künstler an der Farbe näher beleuchten. Aber damit berührt man zwei unterschiedliche Naturen, auf die gesondert eingegangen werden muss. Eine vergleichende Betrachtung liefe in die Irre. Daher möchte ich die beiden Werkkomplexe getrennt, also nacheinander behandeln.
Fangen wir mit den Ölbildern (auf Leinwand) von Johann Rosenboom an. Die hier gezeigten Bilder sind frisch, mehrheitlich in diesem und dem vorigen Jahr entstanden. Die kleine Auswahl hat also Werkstattcharakter, wir blicken auf Gemälde, die uns das vorführen, was den Maler aktuell beschäftigt – die Landschaft und das Interieur. Warme Töne dominieren, mehrfach prägt das Abendlicht mit seinen harten Kontrasten und seinen schimmernden Farben die Szenerie.
Johann Rosenboom ist ein Maler, der in der Nachfolge von Expressionisten und magischen Realisten Perfektion erreicht hat: Klar gebaute Räume und wohl abgestimmte Farben bestimmten frühzeitig seine Kompositionen. Doch wie andere Künstler auch fürchtete Rosenboom, in der Vollendung zu erstarren. Er misstraut sich selbst, bricht ab, überarbeitet Bilder, die dem Atelierbesucher als gut gelungen und fertig erscheinen, um die Lebendigkeit zu erhalten und das Ringen der Farben sichtbar werden zu lassen.
Insofern ist es für den Künstler zweitrangig, ob er an einer Landschaft malt oder an einem Interieur. Stets geht es zuerst um die Frage, wie ordnen sich die Formen und wie können sich die Farben entfalten. Nehmen Sie das Großformat „Griechische Landschaft“, das wie zur Begrüßung im Eingang zu diesem Bürotrakt hängt. Es ist in dieser Ausstellung das älteste Bild, aus dem Jahre 2010: Wir sehen eine zerklüftete, bergige Landschaft, in der sich die Bergrücken klar staffeln. Wenn man jedoch auf die Teile blickt, aus denen sich die Landschaft zusammensetzt, dann sieht man, wie die farbigen Blöcke sich aneinander reiben, wie die Wildheit und Ursprünglichkeit aus der Farbgebung gewonnen wird. Gleichwohl bewegen sich die Elemente der Komposition in einer natürlich wirkenden Ordnung, in der sich die Gesamtkomposition durchsetzt.
Anders verhält es sich in dem Bild, in dem Johann Rosenboom eine Häusergruppe in einer Berglandschaft vorstellt. Hier konkurrieren zwei Prinzipien miteinander, wobei sich aus meiner Sicht am Ende das konstruktive Element durchsetzt. Aber lassen Sie mich der Reihe nach vorgehen: wir sind durch den Impressionismus und Expressionismus sowie durch die folgenden Malergenerationen derart geprägt, dass wir die von Rot-, Blau-, Gelb- und Brauntönen beherrschte Bergwelt in dieser Komposition als natürliche Landschaft begreifen. Dabei sind das keine realistischen Lokalfarben, sondern gefühlte Tönungen. Die in sich ruhende Berglandschaft wird in der Mitte und ganz vorne aufgebrochen. Während im Vordergrund eine dynamische Formation eine Bewegung nach links andeutet, bauen sich in der Mitte hochstehende rechteckige Linien und Flächen auf. In dem Bild entwickeln sich weitere Bilder, Balken und Diagonalen beherrschen den Rhythmus.
Das beschriebene Gemälde ist ein Musterbeispiel dafür, wie Rosenboom beim Malen die Malerei in Frage stellt, um auf eine Ebene zu gelangen, auf der nicht die Motivtreue das Entscheidende ist, sondern der Dialog der Farben, die mal in harmonischen, mal in aufrührerischen Formen aufeinander treffen. Das Schöne für den Betrachter ist, dass er frei darin ist, sich vorrangig an den gegenständlichen Teilen der Komposition zu orientieren oder sich auf das beschriebene malerische Experiment Rosenbooms einzulassen.
Johann Rosenboom ist ein Meister des Lichts. Gleich bei mehreren Gemälden stehen wir im Bann der vom Abendlicht eingefärbten Landschaften. Doch für mich noch ausdrucksstärker sind die Interieurs, vornehmlich die Bilder von Fluren. An sich sind diese Motive nichtssagend. Man sieht lang gestreckte, fast leere Räume mit Türöffnungen und jeweils einem Durchblick. Doch aus diesen Ansichten, die eigentlich nichts Markantes an sich haben, gestaltet Rosenboom Abenteuer für das Auge. Die Farben treten zurück, sie sind funktional und verhalten angelegt. Die Bildregie übernehmen die vom Licht erfüllten Türrechtecken und die Lichtbalken und –flächen, die durch geöffnete Türen quer in die Flure fallen. So ergeben sich überraschende Querbezüge, zuweilen sogar neue Räume.
Eine unvergleichliche Steigerung erfährt diese Kompositionstechnik in dem „Blauen Innenraum“. Wir blicken durch eine halb geöffnete Tür, deren geschlossene Hälfte oben verglast ist und zur Projektionsfläche für das blaue Licht geworden ist. Aber diese Fläche wirkt vergleichsweise starr im Gegensatz zu den blauen Farbfeldern, die sich neben der Türhälfte auf dem Boden entwickeln. Die Farbtöne flirren, sie scheinen zu schwimmen und den Raum aufzulösen. Der Maler hat hier zu seiner großen Freiheit gefunden. Akzentuiert wird dieses faszinierende Farbenspiel durch ein kleines tiefrotes Element auf der rechten Seite. Es wird zur Kraftzone, die sich souverän gegenüber dem schwimmenden Blau behauptet.
Neben den Interieurs und weitläufigen Berglandschaften stellt Rosenboom einige wenige Stadtansichten vor, die von den gegeneinander gesetzten Kuben und harten Schattenzonen beherrscht sind. Zum Abschluss möchte ich noch kurz auf das Bild „Bevagna“ eingehen, in dem sich die fest gebaute Architektur im Mittelgrund auflöst. Die Schatten scheinen vieles aufzusaugen, auch die Figuren, die sich schemenhaft im Zentrum bewegen. Wie so oft entfaltet die Malerei hier ihr Eigenleben. Die Komposition deutet aber noch etwas anderes an – nämlich, dass es im Werk von Johann Rosenboom neben den unbelebten Landschaften und Interieurs eine Fülle von Bildern gibt, die von Figuren beherrscht sind.
Nun zu Siegfried Gerstgrasser. Seine Arbeiten verteilen sich in dem Gebäude. Und an einigen Stellen haben sie so gut ihren Platz gefunden, dass man meint, sie gehörten dort hin.
Siegfried Gerstgrasser arbeitet mit Holz – in künstlerisch angewandter und freier Form. Doch anders als die meisten Bildhauer arbeitet er nicht gegen das Holz, sondern mit dem Holz. Ihm geht es in der Regel nicht um die willkürliche plastische Form, die gewaltsam aus einem Stamm herausgeholt wird, sondern darum, die Sprache des Holzes freizulegen. Was ist aber die Sprache des Holzes? Das sind die Jahresringe, die nicht nur vom Alter, sondern auch vom Schicksal eines Baumes erzählen und die dem Holz seine Individualität und Schönheit verleihen.
Natürlich zersägt auch Gerstgrasser das Holz. Er zerlegt es in kleine Scheiben und Klötze, die er dann wieder zusammensetzt, um auf diese Weise kleine Tafeln und Bücher, große Stelen und Raumobjekte aus Holz zu gestalten. Er verhilft der natürlichen Sprache des Holzes, also den Jahresringen, zu einer gesteigerten Ausdruckskraft, indem er die Einzelteile mal so zusammenfügt, dass sich die aufgeschnittenen Jahresringe neu formieren – mal rhythmisieren sie sich in symmetrischer Anordnung, mal bilden sie Spalten und Zeilen, mal gleichen sie Tonsetzungen und Notationen.
Auf diese Weise entsteht eine aus dem Widerspruch entwickelte Formensprache: Siegfried Gerstgrasser verhilft einerseits der von der Natur gegebenen Sprache des Holzes zur Entfaltung, andererseits unterwirft er diese Sprache dem Gestaltungswillen des Künstlers, der das Natürliche durch die Umformung ins Künstliche und Künstlerische transformiert. Bisweilen geht das so weit, dass durch die Anordnung, der zerlegten Lebenslinien bildhafte Reihungen und Erzählungen entstehen.
Doch die beschriebene Systematik erfasst nur einen Teil von Gerstgrassers Schaffen, denn die neu geordneten Linien brauchen plastische Körper, deren Oberfläche sie werden können. Eine der beliebtesten Formen ist die Stele, ein meist schlankes, hoch aufragendes Objekt, das oben spitz ausläuft und somit zum Obelisken wird. Es handelt sich um ein meditatives Objekt, dessen Oberfläche zu immer neuen Erkundungen einlädt. In der Ausstellung sehen sie eine Fülle von Stelen. Schnell wird sichtbar, wie vielfältig die Gestaltungsmöglichkeiten sind und wie faszinierend es ist, wenn die Stele in sich gedreht oder verschoben wird.
Schon früh wurde Gerstgrasser bei seiner Arbeit mit dem Holz klar, dass die Oberflächen nicht nur strukturiert sind, sondern auch Träger kräftiger Farben sind. Dies bedenkend sowie der Umstand, dass er Holzplatten als Druckstöcke nutzte, brachte ihn dazu, gezielt Farbe einzusetzen. Sie sehen weiße, rote, blaue und grüne Stelen, die kräftig leuchten und in ihrer Farbigkeit die Strukturen der Linien verstärken. Besonders eindrucksvoll gelingt das Zusammenspiel von Farbe und Struktur in den beiden Bildtafeln „Stripes and Stripes“, in denen eine an die Malerei grenzende Komposition entsteht, aber in denen auch jeder Farbstreifen eine bestimmte Liniensprache betont.
Eine überraschende Wirkung ergibt sich, wenn Gerstgrasser die Stelen und anderen Objekte mit Graphit bearbeitet. Dann scheint sich das Holz in Metall zu verwandeln. Erst aus der Nähe offenbart sich die Täuschung, wenn man die rhythmisierten Lebenslinien erkennt. Ebenso gelingt dem Künstler die Verwandlung, wenn er ein Holzobjekt wie einen Findling gestaltet, den er dann so weißgrau einfärbt, dass man meint einen Stein vor sich zu haben.
Ich hatte davon gesprochen, dass Siegfried Gerstgrasser nicht gegen das Holz arbeitet. Dazu gibt es einige Ausnahmen. Eine sehen Sie in diesem Raum – das Objekt „Ikarus III“: In eine rechteckige, mit Graphit eingefärbte Platte hat der Künstler mit kräftigen Schnitten eine Vertiefung geschaffen, die er mit weißer Farbe kontrastiert hat. Er hat also die Platte zu einem Bildträger umgeformt, der erzählenden Charakter gewinnt. Im Schwarz-Weiß-Kontrast wird der Flügelschlag des Ikarus erkennbar.
Das Objekt ist kein Einzelfall. Immer wieder drängt es Gerstgrasser, Zeichen und Bildobjekte zu gestalten, die auf die Existenz zwischen Leben und Tod verweisen. So ist es kein Zufall, dass er wiederholt gebeten wurde, für Kirchenräume Arbeiten anzufertigen. Eine Schlüsselarbeit, die auf die Schöpfung und das Leben, auf das Verhältnis von Himmel und Erde anspielt, ist die Arbeit „Mensch und Kosmos“, die gleich in der Eingangshalle steht. Eine graphitfarbene Säule mit einer roten pyramidalen Spitze richtet sich in die Höhe, während unmittelbar darüber eine gekappte Säule mit einer gleichen roten Spitze hängt. Zwei Kräfte wirken direkt gegeneinander. Eine Spannung entsteht, ein möglicher Konflikt. Man kann es auch anders sehen – ganz im Sinne von Michelangelos Erschaffung des Adam – also als Schöpfungsbild. Dafür spricht, dass die durch die Säule gesteckten Röhren die Silhouette eines sich bewegenden Menschen ergeben.
Das ist vielleicht überhaupt ein wesentliches Charakteristikum von Gerstgrassers Arbeit, dass er stets den Menschen und sein Maß vor Augen hat. Er selbst sieht sich zwischen Leben und Tod. Der Umriss, den die Röhren in „Mensch und Kosmos“ bilden, ist auf seinen Körper bezogen. Und auch der hier nicht ausgestellte auf dem Boden liegende offene Sarkophag ist auf seine Maße zugeschnitten.

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