Kunst in revolutionären Zeiten

Es ist wohltuend und beruhigend, dass die dOCUMENTA (13) in ihrer Planungs- und Aufbauphase nicht über die Ereignisse zwischen Tunis, Kairo und Damaskus hinweggeht. So, wie Carolyn Christov-Bakargiev nach Afghanistan und Kabul ging, um eine solidarische Verbindung herzustellen zwischen dem von Krieg und Terror gezeichneten Land zu der documenta-Stadt Kassel, die vor sechs, sieben Jahrzehnten ebenfalls Krieg und Zerstörung durchstehen musste, und so wie sie nach dem Umsturz in Ägypten zu einer Vortragsveranstaltung nach Kairo flog, so wendet sich jetzt auch die Künstlerinitiative AND AND AND dem politischen Umbruch im Nahen Osten zu.

Und zwar knüpft AND AND AND an die Tatsache an, dass die revolutionären Unruhen in Tunesien ihren Anfang nahmen und dort das erste Regime gestürzt wurde. Die in Tunesien auf der Straße geführten Diskussionen sollen aufgegriffen und konkretisiert werden. Am morgigen Dienstag wird in Tunis zu einer Diskussion eingeladen, in der es um das Verhältnis (und die Wechselbeziehung) von Kunst und Revolution geht. Als Diskussionsleiter wurde der Künstler Oumayma Khaled (das ist ein Deckname eines Künstlerkollektivs) gewonnen, der unter anderem die Frage stellen soll: Können wir einen revolutionären Prozess durchlaufen, ohne dass dieser Prozess einen Einfluss auf die Kunst ausübt, die produziert wird?
Demonstration in Tunis

Auch soll untersucht und diskutiert werden, wie sich die Umwälzungen in Teilen der arabischen Welt auf die Handlungs- und Arbeitsweisen der Künstler und aller im Kunstbereich tätigen Menschen auswirken.

Die Diskussion findet statt:
Datum: 24. Mai 2011, 18 Uhr
Land: Tunesien
Stadt: Tunis
Koordinaten: +36° 47′ 59.39″, +10° 10′ 51.22″
Adresse: Avenue Habib Bourguiba (Für die genauen Informationen bitte +216 22845435 anrufen.)

An diesem 8. Event von AND AND AND zeigt sich, wie gut diese flexibel gesteuerte Künstlerinitiative ist. Denn erstmals in der Geschichte der documenta ist es möglich, spontan auf gesellschaftliche Ereignisse zu reagieren und die Reaktionen in die documenta-Vorbereitungen einzubinden. Dabei ist noch nicht festgelegt, in welcher Weise die Diskussionen in der Ausstellung selbst ihren Niederschlag finden.

Mittlerweile hat die Künstlerinitiative ihre Identität gelüftet: Hinter AND AND AND steht das Künstlerpaar Ayreen Anastas und René Gabri, das in New York lebt und auch an der dOCUMENTA (13) – außerhalb der AND AND AND-Aktivitäten – beteiligt ist. In einem Interview des Deutschlandradios erläuterte Ayreen Anastas, dass für die tunesischen Künstler nicht die documenta-Beteiligung entscheidend sei, sondern erst einmal die Möglichkeit, nach Jahrzehnten der Diktatur die Gedanken auszutauschen.

Irgendwie passt zu dieser existenziellen Frage nach der Rolle und dem Verhalten des Künstlers in Zeiten des Umbruchs das Foto, das Carolyn Christov Bakargiev aus Chaco in Argentinien übermittelt hat. Plakat aus Chaco

Der Bildtext dazu lautet: Arbeiter hängen ein Plakat auf mit der Aufschrift „el arte es un bien de todos“ (Kunst ist ein gemeinsames Gut, das jedem gehört), Resistencia, Chaco, Argentinien, 22. Mai 2011, 13.15 Uhr. Foto: Carolyn Christov-Bakargiev.

Das Bild mit dem Text finden die Besucher der dOCUMENTA (13)-website, wenn sie auf Deutsch oder Englisch geklickt haben. Seit dem Start der neuen documenta-website ist dies das vierte Fotomotiv. Das erste zeigte Arnold Bode mit großer Geste. Auf dem zweiten sah man, wie Schafe rund um die Penone-Skulptur in der Karlsaue weideten. Das dritte war dem Kalender gewidmet, in dem Hunde der documenta-Kuratoren, -Agenten und -Künstler zu sehen sind (der Kalender liegt jetzt übrigens gedruckt mit Spiralbindung als Aufsteller vor).

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