Kassel: Andro Wekua und Nina Canell in der Kunsthalle Fridericianum
Joseph Beuys lehrte, nicht nur die Formen als Botschafter zu begreifen, sondern auch die Materialien selbst: Blei isoliert, Filz wärmt und Kupfer leitet. Es hat den Anschein, als würde die schwedische Künstlerin Nina Canell an die Lehre von Beuys anknüpfen, um weiterführende Versuchsfelder zu entwickeln, in denen Energieströme fließen und die Dinge magische Kräfte freisetzen. So entwickelt sich oberhalb eines Kofferradios, aus dem ein Pochen zu hören ist, eine Raumzeichnung aus miteinander verbundenen Kabeln, bei denen nicht weiß, was genau durch sie in Gang gesetzt wird. Noch dramatischer wirken in ihrer Ausstellung Ode to Outer Ends in der Kasseler Kunsthalle Fridericianum zwei verkabelte Sohlen, die so aussehen, als hätten sich die Fußabdrücke in sie eingebrannt. Und schließlich sind auf einem Wandsockel fünf unterschiedliche Kugeln der Größe nach aufgereiht, wobei die größte in der Luft schwebt.
Die Magie der Dinge entfaltet eine ungeheure Kraft, auch wenn die meisten Arbeiten von Nina Canell zart und fast unscheinbar wirken. Sie setzt auf das Geheimnisvolle ebenso wie auf das Bedrohliche, dem man ausgesetzt wird, wenn man sich durch eine Schleuse von drei Türen in den Nachbarraum bewegt, in dem man von einem ohrenbetäubenden Lärm umfangen wird. Plötzlich befindet sich wieder in der kalten Realität.
Ein Stockwerk darüber konfrontiert der Georgier Andro Wekua die Besucher erbarmungslos mit dem menschlichen Dasein. Auf zwei Bühnentableaus begegnet man zwei einsamen Figuren, die angesichts der Welt nur die Augen verschließen können. Diese in sich zurückgezogenen, eingefrorenen Wachsfiguren fordern Mitleid heraus. Immerhin erscheinen sie richtig menschlich im Gegensatz zu den Figuren in den beiden Videofilmen, die eher Puppen oder Automaten gleichen als Menschen.
Wekua hat für seine bisher größte Einzelausstellung unter dem Titel Pink Wave Hunter das gesamte 1. Obergeschoss im Fridericianum erhalten. Er nutzt die Chance, um die Vielfalt seiner Möglichkeiten auszuprobieren. Hier tauchen malerische Spuren auf, da zerlegt er Raumbilder in kleine Installationseinheiten. Vieles dreht sich um Träume sowie Erinnerungen an Heimatstadt Sochumi, der zu Ehren er markante (sozialistische) Bauten als Modelle nachgebaut hat. Diese Modellreihe ist der faszinierende und stabilisierende Kern der vielschichtigen Ausstellung.
Kunstzeitung, Mai 2011