Mit den Ausstellungen in seiner Realismusgalerie in Fuldatal (Auf dem Hasenstock 1 A) schafft der Maler H.D. Tylle regelmäßig ein Gegengewicht zum vorherrschenden Kunstbetrieb. Er kann immer wieder belegen, daß die realistische Malerei nicht nur etwas Gestriges ist. Das gilt auch für die jetzt laufende Ausstellung, in der Tylle mal wieder eigene Arbeiten präsentiert Ölstudien, die er aus Japan und den USA mitgebracht hat.
In einer Beziehung ist Tylle unbedingt ein Künstler alter Schule: Er setzt auf das Malen vor dem Motiv – ganz spontan und unverstellt. Solange ein Künstler seine Staffelei im Sonnenlicht vor lieblicher Landschaft aufbaut, ist diese Arbeitsweise leicht nachvollziehbar. Wenn sich Tylle aber in der Dunkelheit der Nacht in die Hinterhöfe der Weltstadt New York begibt und dort seine frischen Studien nicht nur beginnt, sondern auch vollendet, dann wird das Außergewöhnliche dieser Arbeit erahnbar. In der Tat bilden Tylles Nachtbilder aus New York – mit ihren Leuchtsignalen, Reflexen und gelben Lichtbahnen den stärksten Teil seiner Bilderausbeute. Hier manifestiert sich eine melancholisch-expressive Kraft. Die Nachtseite der Metropole wird spürbar.
Aber auch am Tage hat der deutsche Maler die amerikanischen Schattenseiten gesehen. Selbst dann, wenn er den Blick auf abgeerntete Weizenfelder in ein leuchtendes Gelb tauchte (das mit dem Blau des Himmels und dem Grün der Bäume kontrastiert), grüßt die Zivilisation mit ihrem Müll: Im Vordergrund liegt ein alter Reifen.
Im Vergleich zu den aus den USA mitgebrachten Bildern wirken die japanischen Landschaftsimpressionen eher klassisch, ruhig und gesetzt. Die USA-Bilder sind vom Verlust der Schönheit geprägt. Die Bilder feiern aber das Licht. Ganz im Sinne der überlieferten Freiluftmalerei leben sie von der Unmittelbarkeit, vom direkten Zugriff. Sie öffnen die Sicht auf eine Welt, die man leichthin übersieht: Wo das Licht und die Farbe triumphieren, da lebt auch die realistische Malerei.
30. 11. 1996