Wie ein Historiengemälde entsteht

Mit großem Selbstbewußtsein geht der Ma1er H.D. Tylle (Jahrgang i954) seinen Weg. Der Schüler von Manfred Bluth hat sich konsequent der realistischen Malerei verschrieben, wobei er zwei Themenschwerpunkte pflegt – die Landschaftsdarstellungen und Bilder aus der Arbeitswelt. In seinen großen Gemälden aus dem industriellen Bereich (insbesondere Kohle- und Kali- Bergbau) geht es nicht nur um die Spiegelung der technischen Dimensionen, sondern oftmals auch um die Schicksalhaftigkeit der Arbeitssituation. So dokumentiert das Bild „Die entlassene Prospekteinlegerin“ (1980) genau jenen Zeitpunkt, zu dem die neuen Maschinen die alten Arbeitsweisen in der Versandabteilung der HNA verdrängten. Eine programmatische Komposition, die einen technischen Entwicklungssprung und das damit verbundene menschliche Schicksal festhält.

So überrascht es nicht, daß Tylle in diesem Jahr von der Ludwigshafener Stiftung Kley den Auftrag für ein großformatige
Historienbild erhielt. Das Bildmotiv soll sich mit dem 9. November 1989 (Fall der Mauer) auseinandersetzen und am 9. November diesen Jahres in der Kunsthalle Mannheim präsentiert werden. Tylle arbeitet zur Zeit mit ganzer Kraft an dem Triptychon, das 2,40 hoch und 6,40 Meter breit werden soll. Die zentrale Szene ist bereits angelegt. Zu sehen ist der legendäre Zug der Trabis gen Westen, der vor der Kulisse des Zementwerkes Deuna ins Stocken geraten ist.

Da H.D. Tylle in diesem Sommer sich ausschließlich auf die Ausführung dieser Komposition konzentrieren will, bleibt 1999 die Realismusgalerie in Fuldatal geschlossen. Um aber den Interessierten einen Blick in die Werkstatt und auf das entstehende Historiengemälde zu ermöglichen, lädt er an diesem Wochenende zum Offenen Atelier in die Realismusgalerie ein. Ein weiteres Offenes Atelier ist für Oktober geplant, wenn das Gemälde fertig ist.

20. 6. 1999

Am Morgen nach dem Mauerfall

Kann man heute ein po1itisch-prograrnmatische Bild malen? Diese Frage stellte sich auch H.D. Tylle (Jahrgang 1954), als er im Frühjahr von einer südwestdeutschen Stiftung den Auftrag erhielt, zum zehnten Jahrestag des Mauerfalls ein Gemälde zu schaffen, das der Kunsthalle Mannheim als Dauerleihgabe übergeben werden soll. Der in Fuldatal (Landkreis Kassel) lebende Tylle ist ein Vorkämpfer der realistischen Schule. Trotzdem ging er nicht ohne Vorbehalte an die Aufgabe. Doch innerhalb von fünf Monaten bewältigte er sie und malte ein 2,30 Meter hohes und 6,40 Meter breites Triptychon, dessen zentrales Motiv er mit Hilfe des Trabi-Clubs Zierenberg inszenierte. Als Kulisse wählte er die gewaltigen, von ihm noch ins Überdimensionale gesteigerten Fabrikanlagen im westthüringischen Deuna. Der legendäre Zug der Trabis gen Westen, der zum Symbol der Grenzöffnung wurde, wird kompositorisch durch die beiden Seitenflügel dieses politischen „Altarbildes“ aufgefangen. Die roten Mauern (mit den feinen Spuren der Veränderung) fassen die bewegte Mittelszene und nehmen ihr auf iromsche Weise das Pathos. Das Triptychon wird am 9. November in Mannheim der Kunsthalle übergeben. Die Entstehung des Bildes ist unter www.tylle.de im Internet zu verfolgen.

25. 10. 1999

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