Schon immer war Berlin ein Zentrum für Realisten. Hier erhielt in den 20er Jahren der Expressionismus drastisch-realistische Züge, und hier gaben die kritischen Realisten in den 60er- und 70er-Jahren den Ton an, als andernorts noch di abstrakten Richtungen vorherrschten. Auch der Versuch einer Momentaufnahme aktueller Berliner Kunst im Jahre 1987, als ein Geburtstagsgeschenk- an die Stadt, läßt die realistischen Tendenzen in einem Maße nach vorne drängen,das ohne Vergleich in unserem Lande ist.
Die Ausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Berlin, von einern 436 Seiten starken Katalog mit durchweg farbigen Abbildungen begleitet, unterscheidet sich in einer Hinsicht von allen ähnlichen Übersichtsschauen. Weder ein einzelner noch eine Jury trafen die Auswahl, sondern vier Kunstexperten stellen, jeder für sich, die Berliner Künstler ihrer Wahl vor – Eberhard Roters, Dieter Ruckhaberle, Heinz Ohff und Wieland Schmied. Auf diese Weise entstand ein buntes Kaleidoskop mit vier in sich relativ selbständigen Teilen. Jeder Macher stellte dabei den zeitgenössischen Künstlern eine historische Künstlerfigur voran. So kamen Ludwig Meidner, Hannah Höch, Karl Hofer und Hans Uhlmann mit akzentuierenden Arbeiten hinein.
Es gab nur wenige Überschneidungen, dafür entstanden viele Berührungszonen. Nur ein Beitrag hebt sich fast völlig ab:
Wieland Schmied entschied sich für ganz stille, auf sehr unterschiedliche Weise mit der Farbe arbeitende Maler – Armando, Geccelli und Girke. Ein Feld der Ruhe und Intensität.
In dieser Ausstellung wird Berlin als ein vitales Zentrum der Kunst- und vor allem der Malerei sichtbar. Obwohl die heftige Malerei der 80er Jahre nur knapp vertreten ist, wirkt die Berliner Kunst laut, kritisch und zuweilen verzweifelt aufrührerisch. Die Kunst spiegelt die zeitweise Ohnmacht der
Stadt sehr gut. Und durch die Einbeziehung von Meidner, Höch und Hofer verstärkt sich dieser Eindruck noch.
Zum Erlebnis wird die Ausstellung auch durch die Begegnung mit Werken solcher Künstler, die sonst nicht überall präsent sind: Eindrucksvoll ist beispielsweise der Raum mit den großformatigen Gemälden von Hermann Bachmann, der dichte, dunkle Flächen geschaffen hat, aus denen gebeugte und leidende Figuren auftauchen. Eines der schönsten Gemälde stammt von Stefanie Vogel – eine dreiteilige Arbeit (,Der Frieden beglückt das Volk), in der die Malerei in hellen, pastosen Tönen triumphiert und in der die sich abzeichnenden Gegenstände eine poetische Atmosphäre schaffen.
Der Zeichner Klaus Vogelsang stellt sich (erstmals) als ein Maler vor, in dessen Bildern die bräunlichen Farbtöne den zeichnerischen Elementen die Schärfe nehmen. Ein überzeugender Weg.
HNA 15. 5. 1987