Nazi-Kunst: Geschichte in Arbeit?

Vor vierzehn Jahrei zeigte der Frankfurter Kunstverein die Ausstellung „Kunst im 3. Reich – Dokumente der Unterwerfung“. Zu sehen waren Bildwerke, die zwischen 1933 und 1945 entstanden und die von den damals herrschenden Nationalsozialisten als die wahre deutsche Kunst eingeschätzt wurden, die also Inbegriff der Nazi-Kunst waren. Die Frankfurter Schau von 1974 war, wie Georg
Bussmann, der damalige Leiter des Frankfurter Kunstvereins meint, „keine kritische, sondern eine diffamierende Ausstellung, die diese Kunst für alle Zeit ver4nichten wollte“.

Doch die Nazi-Kunst wurde durch diese Ausstellung weder politisch noch kunsthistorisch vernichtet. Die Tatsache, daß die Staatskunst der Nazi-Zeit, soweit sie im öffentlichen Besitz erhalten ist (rund 8000 Werke), mit dem Bannfluch belegt und in zwei Depots in Ingolstadt und München unter Verschluß gehalten wird, regt immer wieder die Phantasien an: Werden wir bevormundet? Sind nicht gerade die verbotenen Früchte verlockend?

Der Aachener Sammler und Mäzen Prof. Peter Ludwig, der die Museen in halb Europa mit seinen Leihgaben und Stiftungen versorgt hat, setzte vor zwei
Jahren den Streit um die verdrängte Nazi-Kunst öffentlich in Gang, zuerst allerdings unfreiwillig: Es wurde die Meldung verbreitet, Ludwig wolle die beiden Porträtbüsten, die der einstige NS-Bildhauer Arno Breker von, ihm und seiner Frau angefertigt hatte, mit in das neuerbaute Kölner Museum Ludwig einbringen. Tatsächlich stehen die Büsten in dem Museum, jedoch in den Privaträumen, die den Ludwigs als Stiftern eingeräumt wurden.

In der daraus folgenden Diskussion wandte sich Ludwig gegen die „Blickverengung, zwölf Jahre aus der deutschen Geschichte ausradieren zu wollen. Zu seinem Plädoyer, auch Werke der Nazi-Kunst in den Museen zuzulassen, meinte er erläuternd in einem Interview: „Ich habe die Bilder nie gesehen. Die müßten wir uns daraufhin erst einmal ansehen können, was man ja nicht kann. Die werden ja magaziniert, und wir werden alle entmündigt.“

Ludwigs Vorstoß rief einen Proteststurm in der deutschen Kunstlandschaft hervor. Plakatkünstler Klaus Staeck organisierte eine Unterschriftenaktion „Keine Nazi-Kunst in unsere Museen“, an der sich innerhalb weniger Wochen zahllose Künstler, Ausstellungsmacher und Museumsleiter beteiligten. Zu den ersten Unterzeichnern gehörte Georg Bussmann, jetzt Professor im Kunstbereich der Gesamthochschule Kassel. Seine Unterschrift unter den Staeck-Auf ruf bewertet Bussmann heute mit gemischten Gefühlen, denn er hat seine Meinung geändert: Die kritisch-kämpferische Ausstellung von 1974 würde er so nicht mehr machen. Noch mehr: Auch die unkommentierte Prasentation von Kunstwerken aus der Nazi-Zeit im Museum hält er heute für durchaus diskussionswürdig und zeigt damit
Verständnis für die Position von Ludwig.

In einem Gespräch mit unserer Zeitung erklärte Bussmann, er selbst (als Privatmann) könne und wolle die Nazi-Kunst nicht sehen, auch gerade weil er spüre, daß er sich der Faszination der „Übermännlichkeit“ etwa von Brekers im Dritten Reich entstandenen Skulpturen nicht ganz entziehen könne. Andererseits müsse er als Kunsthistoriker realistisch sein, also beschreiben, wie die Realität beschaffen sei. Und da müsse er feststellen, daß die Museumsdirektoren in ein oder zwei Generationen ganz anders über die Nazi-Kunst entscheiden würden.

Wie Ludwig ist Bussmann der Ansicht, daß die Werke aus der Nazi-Zeit nach den üblichen Kriterien der Kunst beurteilt werden müssten. Bussrnanns Vorteil gegenüber Ludwig allerdings ist – er kennt aus der Vorbereitung der Frankfurter Ausstellung einen gewichtigen Teil der Werke, die in den Depots lagern. Und so lautet sein Urteil: Es ist nicht viel Interessantes dabei, das meiste ist langweilig und stammt von zu kurz gekommenen Akademikern. Nur bei wenigen Werken handle es sich um wirkliche Nazi-Kunst, also um propagandistische Kunst. Wert, aus den Depots geholt zu werden, seien nur einzelne Arbeiten. Gefragt, die Werke welcher Künstler er dazu rechnen würde, nannte Bussmann: Arno Breker, Adolf Wissel, Richard Scheibe, Georg Kolbe und Werner Peiner.

Für Bussmann ist es zwangsläufig, daß sich unsere Gesellschalt mit der Kunst der Nazi Zei auseinandersetzen muß. Den linken Idealismus von
Klaus Staeck, der dies vereiteln wolle und den er selbst in den 70er Jahren vertreten habe, könne er heute nicht mehr teilen Die zeitgenössischen Künstler seien da viel weiter und führten intensiv die Diskussion in ihren Werken um Symbole, Haltungen, Monumentalität und Pathos aus jener Epoche.

In drei Wochen will Bussmann dies mit Hilfe einer Ausstellung in Hamburg belegen, die er unter dem Titel „Arbeit in Geschichte – Geschichte in Arbeit“ vorbereitet: Auf der einen Seite will er Künstler vorstellen die die Nazi-Zeit kritisch aufarbeiten (Brehmer, Gerz, Staeck), dann sollen Werke folgen, in denen die deutsche Geschichte (und deren Alpträume) gespiegelt wird (Kiefer, Lüpertz, Baselitz, Immendorff und Polke), dann so!len Bilder der jüngeren Künstler zu sehen sein, die ironisch Sinnbilder der Nazi-Zeit aufgreifen (Kippenberger, Oehlen) und schließlich wird die Kunst einbezogen, die mit den Pathos-Formen von Klassizismus und Faschismus spielt (Merz, Förg).
Die öffentliche Unsicherheit im Umgang mit Nazi-Kunst deckt auch die Große Anfrage auf, die jüngst Antje Volliner für die Bundesregierung richtete. Diese äußerst sorgfältig ausgearbeitete Anfrage zielt weit über die Frage hinaus, ob Nazi-Kunst in unsere Museen einziehen solle und dürfe. Doch den Kern bildet diese Fragestellung. Und da setzen sich die Grünen für eine „Entdämonisierung“ und nicht Rehabilitierung der Kunst des Dritten Reiches ein. Sie legen dabei eine Gegenüberstellung der Staatskunst der Nationalsozialisten mit der von den Nazis als entartete vertriebenen modernen Kunst nahe.

Sieben Thesen

1. Solange die Staatskunst des Dritten Reiches verschlossen in zwei großen Depots ruht, haben wir sie noch nicht bewältigt. Vielmehr besteht die Gefahr, dass sie zum Phnantom aufgeblasen wird.
2. Gerade weil die meisten dieser Werke, soweit wir die Dokumente kennen, auch im Sinne einer sehr liberalen Kunstauffassung nur zweit-, dritt- und viertklassig sind, wird es Zeit, diese dunklen Schatzkammern aufzulösen.
3. Ein Teil dieser Staatskünst, insbesondere der, der von den Nationalsozialisten gezielt eingesetzt wurde, muß öffentlich zugänglich gemacht werden.
4. Allerdings darf diese Nazi-Kunst nicht unkommentiert in den normalen Museumssammlungen aufgehen. Sie muß in didaktisch angelegten Abteilungen gezeigt werden. Ideale Orte dafür wären die im Aufbau befindlichen Historischen Museen in Berlin und Bonn.
5. Es muß immer sichtbar werden, daß sich diese Staatskunst nur durchsetzen konnte, weil die Künstler der Moderne vertrieben waren, und daß sie ein System stützte und verherrlichte, das die Welt in einen Krieg stürzte und Millionen Menschen gezielt tötete. So sollte die Nazi-Kunst nicht nur der als „entart verbannten Kunst gegenübergestellt werden, sondern auch der antifaschistischen Kunst, die bei uns auch vielfach verdrängt ist.
6. DieDie Tatsache, daß sich Künstler der jüngeren Generation ironisch oder nur zitierend mit dem Pathos und den Sinnbildern der Nazi-Zeit auseinandersetzen, beweist, wie zwingend es einer Aufarbeitung bedarf.
7. Im Umgang mit der Kunst haben wir nicht die Fragen späterer Generationen zu beantworten, sondern unser Probleme zu bewältigen. Dazu gehört auch, daß Werke eines Künstlers wie Arno Breker der für die Nationalsozialisten bildhauerische Leitbilder schuf und dieser kalten und leeren Ästhetik bis heute treu blieb, nicht in die normalen Kunstsammlungen gehören. Wenn sich Peter Ludwig von Breker porträtieren läßt, mag das seinem Verständnis von Weltkunst gemäß sein, spricht aber nicht für seinen Geschmack. Wir aber können und dürfen nicht vergessen, daß Breker auch Porträtist des Führers war.

HNA 4. 9. 1988

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