Erde, Stein, Tier und Mensch oder Die Bewahrung des Kosmos

Ausstellung „Ferne Mythen – Neue Zeichen“ von Pitt Moog auf Schloss Burglinster

Wenn ein Maler kurz vor Vollendung seines 80. Lebensjahres in einer Ausstellung Rückschau auf sein 50-jähriges Schaffen hält und dabei den begleitenden Katalog nicht chronologisch anlegt, sondern die Bilder nach eigenen ästhetischen Dramaturgie ordnet, dann vermittelt er den Besuchern eine eindeutige Botschaft. Die heißt: Man möge bitte nicht nach einer linearen Entwicklung suchen, sondern man möge das Werk als ein Ganzes betrachten, in dem das frühe Bild genauso aktuell ist wie das Gemälde, das erst kürzlich vollendet wurde.
Bereits vor 50 Jahren hatte Moog durch die Begegnung mit frühgeschichtlichen Kulturen, mit Felszeichnungen und Höhlenmalerei, sein ureigenes Thema gefunden. In immer neuen Anläufen schuf er Hunderte von Zeichnungen und Gemälde, in denen er die überlieferten Zeichen und die alten Mythen beschwor, in denen er so tief in die Anfänge menschlicher Malerei eintauchte, dass er selbst zu einem urzeitlichem Maler zu werden schien. Doch dieser im Prinzip richtige Eindruck wird dem Künstler Pitt Moog nicht gerecht. Denn im Gewand des Malers, der sich dem Ursprung der Kunst verschrieben hat, steckt ein ganz gegenwärtiger Künstler, der mit größter Raffinesse die Techniken der Malerei, Zeichnung und Collage miteinander einsetzt und der genau um die Widersprüche unserer Welt weiß.
Natürlich gibt es in Pitt Moogs Schaffen unterschiedliche Phasen mit Brüchen und Ausbruchsversuchen. Mehr als einmal wollte er loskommen aus diesem Bannkreis der fernen Mythen. Doch die Ausflüge in surreale oder lebhaft bunte Welten führten Pitt Moog immer wieder zu seinem Themen- und Formenkanon zurück. Drei Gründe gibt es dafür. Zum einen zeigte sich, dass Moogs Auseinandersetzung mit den Anfängen der Kunst stets auch eine Auseinandersetzung mit der Moderne ist, die seit dem frühen 20. Jahrhundert regelmäßig ihre Erneuerung in der Beschäftigung mit der archaischen und vorgeschichtlichen Kunst sucht. Zweitens spürte Pitt Moog, dass er mit seinem Thema niemals fertig wurde, sondern immer wieder neue Ausdrucksformen und Kompositionen entdeckte. Der dritte Grund ist wohl der entscheidende: Erst im Laufe der Jahre wurde Pitt Moog bewusst, dass diese Art der Malerei ihm den Zugang zu den Fragen und Rätseln der Welt öffnete. Der Wissenshintergrund, so sagte er mir vor ein paar Jahren im Interview, sei viel entscheidender als das bloß Visuelle. In einer Zeit, in der die Menschen die Selbstzerstörung der Welt befördern, versteht der Maler seine Arbeit als den Versuch sich für die Bewahrung des Kosmos einzusetzen. Erde, Stein, Tier und Mensch sind eben nicht nur Grundelemente seiner Malerei. Sie stehen für das Wesen unseres Lebens überhaupt, für das Ringen um die Existenz. Und wie die uns überlieferten Felszeichnungen und Höhlenmalereien erzählen Moogs Bilder von den Bemühungen, einen Einklang in der Welt zu erzielen, Erde, Tier und Mensch in ein Gleichgewicht zu bringen.
Gewiss, Pitt Moog ist ein zeitgenössischer Künstler und kein Magier. Und doch steckt in seinem Werk, übrigens wie in jeder Kunst, die Hoffnung, mit den Mitteln von Malerei und Collage nicht nur eine Verzauberung zu erreichen, sondern auch ein Stück bedrohter Wirklichkeit zu bewahren oder zu verändern. Diese nie ermüdende Hoffnung, durch die Malerei die jahrtausendalten Rätsel zu lösen und ihnen gleichzeitig neue hinzuzufügen und an der Verwirklichung einer Vision mitzugestalten, erklärt, warum Pitt Moog davon nicht loskommt.
Eingangs hatte ich schon mal auf den Katalog verwiesen, der anlässlich dieser Ausstellung erschienen ist. Er ist wie die vor einigen Jahren erschienene dickleibige Monographie des Künstlers Pitt Moog von Carlo Sintermann (ad-signum) hervorragend gestaltet. Das Besondere des aktuellen Kataloges liegt darin, dass oftmals auf der rechten Aufschlagseite die farbige Reproduktion eines Gemäldes zu sehen ist und auf der linken eine schwarz-weiße Ausschnittvergrößerung aus dem betreffenden Gemälde. Manchmal ist der Ausschnitt so klein, dass man Mühe hat, ihn zu identifizieren. Doch bei diesen Gegenüberstellungen geht es nicht um ein Bilderquiz. Vielmehr schärfen die Ausschnittvergrößerungen den Sinn für das Wesen von Moogs Malerei. Plötzlich kann man entdecken, wie mit flüchtigem Pinselstrich Konturen umrissen, Schattenzonen hingehaucht und aus Tupfen und Flecken geschaffen werden. Bei den Ausschnittvergrößerungen blicken wir förmlich durch die Oberfläche der Farben und Zeichen hindurch.
Die Kunst des 20. Jahrhunderts hat das Gemälde als Illusionsraum zerstört. Das Bild ist und bleibt nach dem Selbstverständnis vieler Künstler – so auch bei Pitt Moog – eine Fläche. Damit ist die Perspektive aufgehoben. Ein weiterer Berührungspunkt von archaischer Höhlenmalerei und Moderne. Dabei ist der Verzicht auf Räumlichkeit nicht als ein Verlust zu verbuchen. Im Gegenteil, denn das Nebeneinander der Figuren sorgt für Gleichwertigkeit.
Gleichwohl gibt es in zahlreichen Gemälden von Pitt Moog einen gewissen Hang zum Räumlichen. Das rührt daher, dass Pitt Moog durch eingrenzende Linien, kontrastierende Untergründe oder aufgeklebte Ausrisse im Bild weitere Bilder entstehen lässt. In extremer Weise demonstriert das die Komposition „Roche grande Thiout“. Wie bei einem Comic sehen wir auf der rechten Seite und in der Mitte des Gemäldes eine Abfolge von elf kleinen Bildtafeln, die von sehr lebhaft wirkenden Begegnungen und Auseinandersetzungen von Mensch und Tier berichten. Die linke Seite hingegen wird, das Format füllend, von einer weißen Figur beherrscht, die in der linken Hand eine Tafel mit wirren Beschwörungsformeln hoch hält. Das Erzählende überdeckt die malerische Natur des Gemäldes.
Sehr viel zurückhalternder, aber unübersehbar vollzieht sich die Öffnung zum Räumlichen in dem Gemälde „Dait-el-Hamra II“. Das Ölbild lebt aus dem Kontrast der Schwarz- sowie Rotbraun-Töne im oberen Bereich und den von Weiß, Ocker und Hellbraun beherrschten Flächen darunter. Im Grunde haben wir es hier mit vier Ebenen zu tun: Die unterste und damit alles tragende Ebene ist der Hintergrund mit seinen dunklen, wolkigen Farbformationen. In der oberen rechten Ecke deuten sich Zeichen und Tierfiguren an. Auf diesem Untergrund liegen zwei rechteckige Felder, von denen das rechte dank der weißen Umrandung wie ein passpartoutriertes Bild wirkt. Im beziehungsweise vor diesem Bild sehen wir einen Elefanten, der sich der Einengung in das Format entziehen will und dessen Rüssel über den Rahmen hinausweist.
Noch weniger ordnet sich links das wie ein Pferd erscheinende Tier der dunklen Bildtafel unter. Es legt sich quer und drängt in den weiten Bildraum. Davor steht im Zentrum eine menschliche Figur, die fast die gesamte Bildhöhe einnimmt. Sie befindet sich eindeutig vor den beiden beschriebenen Bildflächen, so dass eine weitere räumliche Wirkung entsteht, ohne dass gleichzeitig eine Perspektive eingeführt wird. Verstärkt wird das Gefühl, man blicke in einen Raum, dadurch, dass die weißen Zonen im oberen Drittel wie Lichtquellen erscheinen. Die rechte Seite der Figur wird von dem Licht erfasst und gewinnt dadurch plastische Kraft.
Noch intensiver und konzentrierter wird die Wirkung des aus dem Innern kommenden Lichts in dem Gemälde „Ziegenhirte“. Die schwarz- und rotbraun angelegte Hirtenfigur bleibt ein Torso. Sie würde fast ebenso wie das gehörnte Tier in der schwarz-braunen Fläche untergehen, hätte Pitt Moog nicht rechts neben dem Kopf und der Schulter des Hirten aus Weiß und gelblichen Tönen eine kontrastierende Lichtzone geschaffen. Die Figur tritt förmlich hervor. Ein Gegenstück entwickelt sich oberhalb des Tierkörpers. Auch hier öffnen die hellen Farben den Bildraum und lassen eine zweite Lichtquelle strahlen. So bildet sich in dem dunklen Umraum ein helles Zentrum heraus.
In dem Katalog ist ein Gespräch abgedruckt, in dem sich Pitt Moog anlässlich einer Ausstellung in Brilon zu seiner Arbeitsweise äußert. Dabei ging es auch um die Frage nach der Bildidee, um die Frage, wie sich ein Werk entfalte. Da Moog normalerweise ohne Skizzen und Vorstudien arbeitet und das jeweilige Gemälde aus sich heraus entwickelt, antwortete er salopp, die Bilder würden mehr oder weniger aus Zufall entstehen. Das stimmt nicht ganz, und der Künstler schränkte selbst ein, dass er natürlich auf Grund seiner reichen Erfahrung wisse, wie sich ein Bild aufbaue und wie er die Komposition vollende.
Trotzdem ist der Hinweis auf den Zufall nicht ganz falsch. Wörtlich sagte Moog in dem Gespräch: „Aber – ein Bild fängt bei mir zunächst mit einer Sauerei an. Das ist nicht die weiße Leinwand, die mach ich erst einmal weg, damit da was ist, und indem da was ist – strukturell farblich und tonal – merke ich: aha, da ist was, und dann steigere ich das, und dann ist was da. So wächst so was.“
Das heißt: Pitt Moog hat nicht seine Komposition im Kopf, die er dann mittels Pinsel und Farbe auf die Leinwand projiziert. Er geht genau umgekehrt vor: In der diffusen Übermalung der Leinwand sucht er Flecken, Farbzonen oder Kontraste, die ihn herausfordern und zum Weitermalen animieren. Die Malerei entsteht aus dem Farbraum heraus, den er vertieft oder akzentuiert oder über den er mit kräftigen Strichen oder hinein gezeichneten Linien hinweggeht. Unter der Hand des Künstlers findet sich das Bild selbst. Damit sind wir bei der zentralen Aussage. So ernst Moogs Erklärung gemeint ist, ihm ginge es bei seiner Arbeit um die Bewahrung des Kosmos, so unumstößlich ist, dass es erst einmal um die Malerei selbst geht.
Ein Schlüsselwerk ist für mich in dieser Hinsicht das Gemälde „Anthropoden 035“. Man blickt auf drei bis vier Bildebenen mit drei dominierenden (schwarzen) Tierfiguren, die ein chaotisches, nahezu kreisrundes Zentrum einrahmen. Das Bild wirkt wie die Erdsuppe am Beginn der Schöpfung, in der alle möglichen Formen und Farben, Zeichen und Strukturen angelegt sind, aber über die endgültige Gestalt noch nichts entschieden ist. Spannender als die klar erkennbaren Tierfiguren oder Schriftzeichen sind die Flächen, die von einer unbändigen malerischen Lust am Detail zeugen. Da deuten sich amorphe Formen an, dort entwickeln die Farben ihr Eigenleben. Auch da, wo nichts im herkömmlichen Sinne greifbar wird, entfaltet sich eine äußerst lebendige malerische Sprache. Die Farben scheinen zu kochen und Formen zu produzieren. In diesem Bild spürt man, was Moog meint, wenn er sagt, „aha, da ist was“.
Zu Anfang hatte ich darauf verwiesen, dass es nicht viel Sinn mache, nach einer Entwicklungslinie zu suchen, da sich der Künstler in einem ständigen Dialog mit seinen Werken befindet, in dem das frühe Bild genauso aktuell ist wie das jüngste. Allerdings ist ein Wandel seit den frühen 60er-Jahren zu bemerken: Moogs Gemälde, die zuerst in dunklen schwarz-braunen Tönen gehalten waren und von massiven amorphen Körpern beherrscht waren, sind heller, spielerischer geworden. Geblieben ist aber seine Vorliebe für eine eingegrenzte Farbpalette mit ihren Schwarz-, Rot-, Braun-, Gelb- und Weißtönen. Das sind die Farben der Erden, Steine und Felsen, aus denen die urzeitlichen Motive stammen und die durch alle Zeiten hindurch die Farben der Schöpfung sind.
Moog liebt es, die schwarze Linie aus den Zeichnungen mit in die Malerei hinüber zu nehmen. Zeichnung und Malerei liegen bei ihm nahe beieinander. Manchmal gehen sie nahtlos ineinander über.
Zuweilen bricht der Künstler doch erfolgreich aus seinem Bilderkanon aus. Mal reizt es ihn, mit der großen malerischen Geste einen weißen Stier einzufangen und zu umreißen und durch das Zusammenspiel von malerischen und druckgrafischen Elementen Kraft und Bewegung herauszuarbeiten („Der von Asia“). Dann wieder lockt ihn die in sich ruhende, klassische Komposition, in der er sich als souveräner Zeichner vorstellen kann. Die Sepiazeichnung „Akt schlafend“ gehört zu den Beispielen nahhaltiger Ausbruchsversuche. Es sind die Ausnahmen von der Regel. 10. 11. 2001

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