Wie eine Wiedergeburt

Ausstellung „Der junge Rembrandt“ in Kassel

Vor 19 Jahren schlug die Nachricht wie eine Bombe ein: 51 von 93 Gemälden, die als frühe Werke des großen Rembrandt Harmensz. van Rijn (1606-1669) galten, wurden als Schüler-Arbeiten, Kopien oder eigenständige Bilder anderer Künstler eingestuft. Das fünfköpfige Wissenschaftlerteam, das seit 1967 in dem Rembrandt Research Projekt zusammenarbeitete, konnte dieses vernichtende Urteil mit gründlichen naturwissenschaftlichen Untersuchungen aller erreichbaren Gemälde belegen. Allein die Kasseler Gemäldegalerie Alte Meister sollte fünf ihrer 17 Rembrandt-Werke abschreiben. Galerie-Leiter Bernhard Schnackenburg akzeptierte das im dickleibigen „Corpus of Rembrandt Paintings“ niedergelegte Urteil prinzipiell, zumal es bei einigen Bildern bereits zuvor Zweifel an der Urheberschaft des Amsterdamer Meisters gegeben hatte. In einem Fall aber wollte er nicht ohne weiteres nachgeben: Die 1632 datierte „Büste eines Greises mit goldener Kette“, die immer zum festen Bestand des Rembrandt-Werkes gehört hatte, verlangte seiner Ansicht nach eine vertiefte, stilkritische Prüfung. In die stürzte er sich und schuf damit die Basis für die Ausstellung, die er ab 3. November in der Kasseler Gemäldegalerie in Zusammenarbeit mit dem Amsterdamer Museum Het Rembrandthuis zum Frühwerk des Malers, Zeichners und Grafikers zeigen kann.

Mit seinen stilkritischen Forschungen konnte Schnackenburg die Zweifel an der Echtheit des Greisenbildes entkräften. Damit feiert die Ausstellung die Wiedergeburt eines Rembrandt-Gemäldes. Allerdings führten die Untersuchungen und die auch andernorts angestoßenen Diskussionen über Rembrandts Frühzeit, seine Vorbilder und seine Experimente weit über das Einzelbild hinaus. Im Kern ging es um die Frage, ob sich der Künstler wirklich linear zu einem Feinmaler entwickelt habe. Die Amsterdamer und Kasseler Kunsthistoriker sind sich mit anderen Kollegen einig darin, dass die Vorstellung von der konsequenten Entwicklung nicht zu halten sei. Sie stufen den jungen Rembrandt als einen frühen Genius ein, der vieles kann und gleichzeitig probiert und der wie ein Konzeptkünstler nebeneinander verschiedene Haltungen und Handschriften pflegt. Vor allem die Charakterköpfe (Tronien) aus der Zeit um 1630 habe er bewusst mit breitem Pinsel in rauer Manier gemalt. Auf der anderen Seite bezieht die Ausstellung auch ganz frühe Genrebilder („Die drei Sänger“, 1624/25) ein, die als zu derb und nicht rembrandt-gemäß galten.

Die Ausstellung, die neben Malerei Grafik und Zeichnungen umfasst, versteht sich als Diskussions- und Forschungsprojekt. Sie vereinigt aber auch prominente Meisterwerke aus internationalen Sammlungen wie das Bild „Junger Maler im Atelier“ aus Boston, „Christus vertreibt die Geldwechsler aus dem Tempel“ aus Moskau oder das nie zuvor öffentlich gezeigte Gemälde „Judas bringt die dreißig Silberlinge zurück“ aus englischem Privatbesitz.

Wichtig für das Unternehmen ist, dass Ernst van de Wetering, der zum Team des Research Projects gehört, die Neubewertung akzeptierte. Er hatte bei der Rembrandt-Ausstellung, die 1991/92 in Berlin, Amsterdam und London zu sehen war, bereits dafür plädiert, dem Künstler in den einzelnen Entwicklungsstufen eine größere Stilvielfalt zuzugestehen. Für mehr Offenheit in der Bewertung von Rembrandts Haltung , setzt sich eine weitere Rembrandt-Schau ein, an der auch van de Wetering mitwirkt: „Rembrandt´s Women“, die bis 16. Dezember in der Royal Academy of Arts in London gezeigt wird. Die Ausstellung geht ebenfalls von einem einzelnen Bild („Eine Frau im Bett“ – früherer Titel : „Sarah erwartet Tobias“) aus und lenkt den Blick auf den sinnlichen Künstler, sein emotionales Verhältnis zum Modell.

„Der junge Rembrandt- Rätsel um seine Anfänge“, Staatliche Museen Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister, Schloss Wilhelmshöhe, 3. November bis 27. Januar 2002; Museum Het Rembrandthuis, Amsterdam, 20. Februar bis 26. Mai 2002. Katalog Edition Minerva

„Rembrandt´s Women“, Royel Academy of Arts, London, bis 16. Dezember. Katalog (englisch) Prestel Verlag, 270 S., 148 Mark.

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