“Die documenta muss sich behaupten”

Dirk Schwarze über die documenta und das documenta forum, das sich sehr intensiv für den Fortbestand der Weltkunstausstellung engagiert. Von Angelica Beschi, Sommersemester 2012.

Dirk Schwarze, 1942 in Glogau geboren, studierte Germanistik und Soziologie in Köln. Nach dem Studium wurde er Journalist. Er war Kunstkritiker der Rheinischen Post und Leiter der Kulturredaktion und Kunstkritiker der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen (HNA). Seit 1972 begleitet er als Kunstkritiker die documenta. Zur Zeit ist er Vorsitzender des documenta forums, dem Förderverein der documenta.

Wie wurden Sie Vorsitzender des documenta forums?
Ich kannte das documenta forum schon seit langem. Da ich aber hier in Kassel als Kultur- und Kunstkritiker arbeitete, bin ich nicht Mitglied gewesen, um unparteiisch zu bleiben. Mitglieder des documenta forums waren aber daran interessiert, mich für das Forum zu gewinnen, da ich in meiner beruflichen Tätigkeit als Journalist viel Kenntnis über die documenta erworben hatte. Daher wurde ich, als ich 2007 als Redakteur aufgehört habe, gebeten, den Vorsitz zu übernehmen.

Welche Aufgabe hat das documenta forum?
Wir haben uns zur Aufgabe gemacht, über alles zu informieren, was mit der documenta zu tun hat. Wir engagieren uns sehr intensiv für den Fortbestand der documenta und des documenta Archivs. Wir haben uns sehr dafür eingesetzt, dass das documenta Archiv weiter ausgebaut wird, wir haben kulturpolitische Initiativen gestaltet, wir haben auch Sponsoren für die Unterstützung von Projekten des documenta Archivs gewonnen.

Ist es schwierig, Sponsoren zu gewinnen?
Einerseits ist es schwierig, weil es in Kassel immer schwierig ist, Geld zu sammeln. Es gibt nämlich nur wenige Unternehmen, die hier ihren Hauptfirmensitz haben. Andererseits habe ich festgestellt, dass man Gelder bekommt, wenn man ein Projekt glaubwürdig vertritt.

Arbeiten Sie mit anderen Kulturstiftungen in Deutschland zusammen?
Nein. Jetzt haben wir aber Kontakt zu einem Professor der Kunsthochschule Kassel, Professor Kai-Uwe Hemken. Er hat ein Forschungsprojekt begonnen und wir wollen prüfen, inwieweit wir zusammen arbeiten können. In diesem Projekt geht es um die Wirkungsweise besonderer Ausstellungen. Das Projekt soll u. a. untersuchen, ob die Künstler einen anderen Blick auf die Kunstwelt entwickeln, wenn sie zu einer Ausstellung wie die documenta eingeladen werden.

Inwieweit hat das documenta forum zur Gestaltung der dOCUMENTA (13) beigetragen?
Die Zeiten sind vorbei, in denen das documenta forum für die Organisation der documenta verantwortlich war. Als der documenta-Gründer Arnold Bode das Forum gegründet hatte, sah es anders aus, und es spielte sich viel in Kassel ab. In der Folgezeit ist aber die documenta zu einem großen internationalen Unternehmen geworden.

Sie pflegen ihre persönliche Internetseite: verstehen Sie sie als Ergänzung des documenta Archivs?
Ja. Im Laufe der Jahre habe ich viele Artikel zur Kunst geschrieben und ich habe gedacht, ich könnte sie im Internet zugänglich machen. Ich habe das am Anfang als Spielerei verfolgt, aber dann habe ich festgestellt, dass sie ziemlich viel genutzt wird. Mein Blog hat 700 bis 800 Besucher pro Tag, die etwa 2000 Seiten anschauen.
Jetzt will ich auf meine Internetseite versuchen, auf diese documenta einzugehen. Erst mal will ich alle Künstler mit einer ihrer Arbeiten vorstellen. In einer zweiten Stufe will ich noch einige Texte dazu schreiben, wo ich mich mit bestimmten Aspekten dieser Ausstellung auseinandersetze. Z. B finde ich sehr spannend, dass viele Künstler das Thema „Museum“, „Archiv“ oder „Bibliothek“ gewählt haben.

Welche sind ihre ersten Eindrücke der aktuellen Ausstellung?
Ich sehe sie als eine Ausstellung ganz neuer Art, weil sie zum ersten Mal sehr viele Menschen und Projekte einbezieht, die nicht unbedingt etwas mit Kunst zu tun haben. Die Leiterin geht von der These aus, dass heutzutage eben die verschiedenen Disziplinen, also Wissenschaft und Kunst, miteinander verknüpft werden müssen und man kann nur so zu neuen Lösungen kommen. Ich würde sagen, dass es in der dOCUMENTA (13) eher um inhaltliche Fragen geht: das Inhaltliche ist der Ansatzpunkt, an dem die Leiterin Carolyn Christov-Barkagiev einsetzt. Nehmen wir z. B. die Kalifornierin Amy Balkin. Sie hat ein Projekt gestartet, wo sie mit Hilfe der documenta alle UNESCO Mitgliedsstaaten gebeten hat, die Erdatmosphäre in die Welterbeliste der UNESCO aufzunehmen. Das zeigt erstens wie Künstler Projekte entwickeln können, die in die Wirklichkeit hineinwirken, und zweitens, dass die documenta eine Basis für Projekte ist, die außerhalb der documenta keine Chance hätten.

Welche Künstler der dOCUMENTA (13) finden sie am interessantesten?
Es gibt viele interessante Künstler. Ich wähle jetzt nur drei Beispiele. Eine Arbeit befindet sich im Ottoneum. Dort gibt es ein komplettes Verzeichnis der nordhessischen Bäume, das im XVIII. Jahrhundert in Buchform gestaltet wurde. Jedes Buch ist eine kleine Kiste aus dem Holz des betreffenden Baums. Auf dem Deckel wird der Baum beschrieben, und die Kiste enthält getrocknete Blätter, Blüten und Früchte dessen. Auf der Rückseite ist die Rinde des Baums aufgeklebt. Der Amerikaner Mark Dion war davon so fasziniert, dass er sich damit beschäftigen wollte. Das Naturkundemuseum hat also dem amerikanischen Künstler angeboten, ein neues Vitrinenkabinett für diese Bücher zu gestalten. Außerdem hat Dion auch drei Bücher von jeweils einer Baumart von jedem Kontinent dazu hergestellt. Für Europa hat er das Holz einer Eiche genommen, die ursprünglich zum Projekt von Joseph Beuys „7000 Eichen“ gehörte. Dadurch ist das historische Projekt im Ottoneum mit einem Werk der documenta verknüpft worden.

Mir gefällt auch die Installation von Geoffrey Farmer in der Neuen Galerie. Farmer hat Bilder aus 50 Jahrgängen des Magazins Life ausgeschnitten und sie hintereinander verklebt. Es handelt sich um Werbe- oder Dokumentationsbilder, die von 1935 bis 1985 in dem Magazin erschienen sind. So ist ein Zeitpanorama des 20. Jahrhunderts entstanden. Mich fasziniert, dass junge Leute diese Bilder erstmals sehen und dass ältere Menschen, wie ich, sie wieder zu entdecken können.

Die dritte Arbeit stammt von zur Fiona Hall und ist in der Karlsaue zu sehen. Es handelt sich um ein Häuschen, in dem Tiere ausgestellt sind, die vom Aussterben bedroht sind oder die bereits ausgestorben sind. Auch wenn das Ziel des Werks grundsätzlich ernst ist, hat man nicht den Eindruck, belehrt zu werden. Das Werk ist unterhaltsam und es gibt viel zu entdecken.

Haben Sie schon neue Projekte für das documenta forum geplant?
Für das documenta forum haben wir vor, eine Vortragsreihe zu starten, in der es darum geht, wie man die documenta weiter als Ausstellung sichern kann. Heute gibt es nämlich viele internationale Ausstellungen, und in dieser Konkurrenz muss sich die documenta behaupten.

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