Maybe – Vielleicht eine Ausstellung

Eröffnung der Ausstellung „Sommerakademie für Komische Kunst – documenta Retrospektive“

Das Wichtigste vorweg: Bange muss uns nicht sein, wenn wir an die Zukunft der komischen Kunst denken. Die sechste Sommerakademie der Caricatura hat den Nachweis gebracht, dass es genügend nachwachsende Cartoonisten gibt, die innerhalb kürzester Zeit und unter Druck komische Bilder und Objekte zustande bringen. Da kann man den Teilnehmern der Sommerakademie, Franziska Becker und dem Caricatura-Team nur gratulieren.
Die Frage nur ist, ob die sogenannte ernste Kunst, die alle fünf Jahre in Form der documenta ihren großen Auftritt hat, da auf Dauer mithalten kann. Erste Zeichen von Unsicherheit wurden bereits im Vorfeld der dOCUMENTA (13) sichtbar, als nämlich in der documenta-Leitung der Verdacht bestand, die komische Kunst habe allen Papst-Karikaturen zum Trotz in der katholischen Kunst einen neuen Verbündeten gefunden. Anlass für die Vermutungen gab die Tatsache, dass die kunstfreudigen Katholiken den Turm der Kasseler Elisabethkirche freigaben, um in luftiger Höhe dem Denkmal eines Verkehrspolizisten (erkennbar an den ausgestreckten Armen) Asyl zu gewähren, da die documenta dieses Werk nicht in ihren Kunstkanon aufnehmen wollte.
Doch schon lange vor diesem säkularisierten Skulpturenstreich und vor der Eröffnung der dOCUMENTA (13) hatten sich ernste Zweifel im Ausstellungsteam eingenistet. Hatte die documenta 12 nach Schluss der Ausstellung noch stolz ein zweibändiges Werk zu ihrer Kunstvermittlung herausgebracht, um für alle Zeiten klar zu machen, wo es künftig lang zu gehen habe, mochte sich das Team der dOCUMENTA (13) nicht so festlegen. Man drückte sich um Begriffe wie Erziehung, Bildung oder Vermittlung herum, um schließlich nur noch von maybe education, von Vielleicht-Vermittlung, zu sprechen. Insgeheim sprach man schon von der maybe documenta.
Das wäre ein gefundenes Fressen für die Cartoonisten und Kabarettisten geworden. Doch vor ihnen hatten Werbeleute den Futterplatz besetzt. Sie wollten zeigen, dass sie sowohl der ernsten als auch der heiteren Kunst die Schau stehlen können und pflasterten ein halbes Jahr lang die öffentlichen Werbeflächen mit Maybe-Plakaten zu. Und mit Sicherheit wären die Schlangen vor den documenta-Ausstellungsorten noch länger geworden, wären nicht viele potentielle Besucher durch die Werbekampagne, die ihnen befehlsmäßig einhämmerte „Don’t be a Maybe!“, zurückgeschreckt worden.
Nicht genug. Die Maybe-Plakate ließen im Internet eine Ideenbörse entstehen, in der Amateure und Profis immer neue Variationen zum Maybe-Thema präsentierten. Fast konnte man vermuten, die Sommerakademie wäre vorverlegt worden. Kein Wunder also, dass nur eine Arbeit fast nebenbei auf das überstrapazierte Maybe anspielt. Es handelt sich um ein Blatt von Judith Berens, das sich ohne großen Aufwand den Schlüsselthemen der dOCUMENTA (13) widmet: Zu sehen sind ein Hund, der an den documenta-Aufsteller pinkelt, um zu beweisen, dass er auch da war, die documenta-Leiterin, die das cool findet, und das Zauberwort maybe, das alles in Frage stellt.
Ja, so ändern sich die Zeiten. Ernst Kahls Großformat, das mit seinen traurig blickenden Hunden im Eingangsbereich der Caricatura verkündet „Wir müssen leider draußen bleiben“, wurde zumindest der dOCUMENTA (13) nicht gerecht. Deshalb war es gut, dass Karin Bohrmann das notwendige Gegenstück schuf, nämlich ein Cartoon, in dem Hunde begeistert im Hunde-Pavillon in der Aue feststellen: „Endlich mal gute Kunst“. Auch Thilo Kasper argumentiert mit Nachdruck für die Kunst aus der Hunde-Perspektive, indem er seinen Vorschlag für einen Katalog als einen Dog-Guide gestaltet hat.
Die documenta-Leiterin musste mit solchen Bild-Reaktionen auf ihre Ausstellung rechnen. Tatsächlich war sie darauf vorbereitet. Denn sonst wäre sie nicht der komischen Kunst ein ganzes Stück entgegen gekommen: Bereits im Frühjahr vorigen Jahres brachte sie zur Erheiterung ihrer Mitarbeiter einen Kalender heraus, in dem eingeladene Künstler und Mitarbeiter im Bild ihre Hunde vorstellten und Carolyn Christov-Bakargiev (CCB) die Fotos kommentierte. Der Kalender war beides – ein ernsthafter Beitrag und dennoch ein Ding zum Schmunzeln.
Ansätze zu einer heiter bis komischen Kunst gab es in der documenta zuhauf. Da braucht man nur an sie frische Brise im Fridericianum oder die Kunstbotschaften zu denken, die man mit Füßen treten sollte. Einer der heitersten Einfälle war der des Künstlerduos Faivovich & Goldberg. Im Grunde war ihr Projekt, den Meteoriten El Chaco nach Kassel zu holen, gescheitert. Folglich hätten sie im leer gefegten Erdgeschoss des Fridericianums neben der Vitrine von Kai Althoff eine weitere Vitrine mit einem Absagebrief aufstellen müssen. Aber nein, sie wollten etwas Vorzeigbares präsentieren. Also entwickelten sie die komische Idee, als Ersatz für den Meteoriten einen schlichten Eisenkubus auf den Friedrichsplatz abzuladen, der so schwer ist wie die Differenz, die beim zweimaligen Wiegen des Meteoriten festgestellt wurde.
Aber bleiben wir einen Moment noch bei den Tieren, die, wenn man so will, zu Leitfiguren der Ausstellung wurden. Dass das kleinste Ausstellungsobjekt der gesamten dOCUMENTA (13), die zwei Tsetse-Fliegen, humoristische Reaktionen herausfordern würden, war abzusehen. Marc Seefried drehte im Caricatura-Workshop den Spieß um und verwandelte die Tsetse-Fliegen in orientierungslose Besucher, die das, was an ihrer Stelle unter der Vitrine zu sehen war, zur Scheiße erklärten.
Abzusehen war auch, dass die Katzen-Freundinnen und –Freunde gegen die einseitige Bevorzugung der Hunde revoltieren würden. Ulrike Martens macht sich zu deren Sprecherin und fragt in einem Bild mit sieben kuscheligen Katzen entschieden: „Was, so frage ich Euch, hat die documenta jemals für uns getan?“ Allerdings verpufft die Kritik ein wenig, weil man spürt, mit welcher Lust und Hingabe die Künstlerin das Katzen-Triptychon gemalt hat.
Nun gibt es ja Stereotypen, die immer dann benutzt werden, wenn Kunst nicht ernst genommen oder nicht verstanden wird. Eine davon lautet: „Das kann ich auch“ – in der Steigerungsform heißt es: „Das kann unser Kind auch.“ Sowohl Ingrid Bluoss als auch Angelika Luise Stephan greifen die beliebte Wendung auf – aber nicht, um die Feststellung zu wiederholen, sondern um diejenigen vorzuführen, die so daher reden. In die Reihe gehört auch das Blatt von Pat Meissner, auf dem eine humoristisch umfassende Bestandsaufnahme der Ausstellung gezogen wird. Die Leere, durch die der Windhauch weht, wird ebenso vielsagend und wolkig beschrieben wie die Neigung der documenta-Leiterin, sich nicht auf etwas festlegen zu lassen.
Die komische und die sogenannte ernste Kunst sind sich in der dOCUMENTA (13) und in der dazu veranstalteten Sommerakademie zuweilen sehr nahe gekommen. Am stärksten beim Blindzeichnen in dem Dunkelraum hinter dem Hugenottenhaus – ein Projekt, von dem Siegfried Böttcher modellhaft eine Vorstellung vermittelt.. Aber auch dann, wenn Ingrid Bluoss in ihrem Cartoon eine Frau zu ihrem Karlfriedrich sagen lässt, hier lohne es nicht weiterzugehen, weil da keine Schlange sei, dann beschreibt sie wunderbar das angepasste Rudelverhalten der Besucher, die zu Recht denken: Je länger die Schlange, desto besser die Kunst. Und eben auch andersherum: Wo keine Schlange steht, gibt es auch nichts zu sehen.
Schlange stehen war ein Schlüsselthema der dOCUMENTA (13). Wo hat man überall gestanden? An der Kasse, am Fridericianum, vor dem Brain, vor dem Saal mit Korbinian Aigners Apfelbildern, vor der Jagdhütte, vorm Bratwurststand, vor der Garderobe usw. usw. Thilo Kasper, Teja Fischer und Oliver Ottitsch haben die Schlangen-Figuren in herrlichen Variationen aufgegriffen. Mit ganz sparsamen karikaturistischen Mitteln führen sie vor, wie man Schlange stehen kann, ohne weiterzukommen. Die einen werden in die Luft gewirbelt, die anderen laufen wie auf dem Gefängnishof im Kreis oder wieder andere formieren sich zum Unendlichkeitszeichen.
Vor Beginn der dOCUMENTA (13) hatte ich gedacht, dass die Schrebergartenhäuschen in der Karlsaue den Spott der Kritiker hervorlocken würden. Doch so kann man sich täuschen. Diese Anti-Architektur wurde geschluckt und klaglos hingenommen. Daher bin ich froh, dass wenigstens Eggs Gildo in einem Bild den „funny little houses“ und der „German Bratwurst“ ein bleibendes Denkmal gesetzt hat.
Die meisten Arbeiten, die in der Sommerakademie zur documenta entstanden sind, gehen freundschaftlich mit den karikierten Kunstwerken um. Thilo Kaspers und Judith Berens‘ Bilder zum Brain verrätseln das Herzstück der dOCUMENTA (13) mehr, als dass sie es dem Spott aussetzen. Auch Sylvia Nitsche gibt in ihrem Cartoon das Staunen weiter – eine prächtige Farbschlange mit dem Ausruf „Boah so viel Kunst erschlägt doch“. Ja, das könnte eine vorbehaltlose Bewunderung sein, wäre da nicht am Ende ein billiger Plastikverschluss, durch den alles verschwinden kann.
Kunst ist nicht umsonst zu haben. Das merken die Besucher spätestens, wenn wie versuchen, alles aufzuarbeiten. Siegfried Böttcher hat zum Glück an die traumatischen Erlebnisse gedacht, die die Besucher am Ende ihres Rundgangs abladen mussten, um unbeschwert nach Hause zu kommen. Sein Posttraumatisches Stress-Syndrom verspricht Bewältigung. Aber auch hier musste man erst einmal Schlange stehen, womit wir wieder beim Anfang wären.

Schreibe einen Kommentar