Das Bild erzählt nichts und stellt nichts dar. Es ist allein der Sprache der Farben gewidmet. Die aber leuchten weithin. Zwischen den prägenden Partien aus Blau und Rot strahlt auch ein gelbes Feld hervor: Die Harmonie der klassischen Grundfarben ist perfekt.
Schon aus großer Entfernung lenkt das Bild die Blicke auf sich. Die Farbscheiben scheinen in Bewegung zu sein, trotzdem wirkt das Bild ausgesprochen ruhig. Nicht oft ist ein Titel so treffsicher wie in diesem Fall: „Symphonie.
Ernst Wilhelm Nay, einer der deutschen abstrakten Maler der Nachkriegszeit, die auch international zu Ansehen kamen, malte 1958 dieses Ölbild, als er sich in einer Phase des Ubergangs befand: Ende der 40er Jahre hatte sich Nay von der figürlichen und erzählenden Darstellung gelöst und ganz auf die freie Gestaltung der Farben konzentriert.
Die ideale Form für die gegenstandslose Komposition der Farben fand Nay im Kreis und in der Scheibe, die naturgemäß Elemente der Harmonie, Dichte und auch Bewegung sind. Im letzten Drittel der 50er Jahre dann ging Nay darüber hinaus und brach die harmonische Ordnung auf.
Wenn man so will, sind auch in diesem Gemälde einzelne Ausbrüche erkennbar. Und geht man näher heran und studiert die Malweise, dann- sieht man, daß die vielen verschiedenartigen Farbflecken zwar spontan und schnell aufgetragen wurden, daß sich der Malvorgang aber über mehrere Stufen entwickelte und die harmonische Ordnung erst aus einem mehrschichtigen Aufbau gewonnen wurde, Hier lernt man Nay als einen ebenso kraftvollen wie planmäßigen Maler kennen, der allein dem Klang der Farben vertraut.
Unter den sechs Bildern, die derzeit die Neue Galerie in Kassel in ihrer Sammlung zeigt, ist das Ölgemälde Symphonie das am weitaus malerischste. Während die anderen Bild noch sehr stark von Linienstrukturen bestimmt sind oder noch von dem Bemühen künden, Landschaft und Figur in die flächige Farbstruktur zwingen, herrscht hier das freie, ungezwungene Spiel der Farben. In dieser Phase hat Nay seine größte Souveränit erlangt. Der lange und mühsame Prozeß der Abstrahierung, den Nay bereits Ende der 20er Jahre eingeschlagen hatte, war nun vollendet.
1988