Anfangs erschien es wie eine verrückte Idee, was das Künstlerduo Faivovich & Goldberg zur dOCUMENTA (13) plante. Die beiden Künstler, die im Herbst 2010 im Frankfurter Portkus den zersägten Meteoriten El Taco präsentiert hatten, wollten voriges Jahr in Kassel den zweitgrößten Meteoriten der Welt, den Eisenkoloss Ei Chaco aus Nordargentinien, auf dem Friedrichsplatz in der Nähe zu Walter de Marias Erdkilometer zeigen. Sie hatten vor, neben dem in Richtung auf das Erdinnere verweisenden Messingstab den Meteoriten als Himmelsboten zu setzen. Der Meteorit, der circa 37 Tonnen wiegt, vor etwa 4,6 Milliarden entstanden ist und vor 4000 Jahren in einem Meteoritenregen auf die Erde fiel, hätte eine Brücke geschlagen aus unserer Zeit in jene Vergangenheit, in der unsere Welt ihre Form angenommen hat. Mit dem Meteoriten wäre die Erdgeschichte überformt worden.
Im januar 2012 formierte sich aber Widerstand in der Provienz Chaco gegen die Ausleihe des Meteoriten. Dieser Widerstand verhinderte zwar den Transport nach Europa, die Argumente der Bewohner der Provinz Chaco gaben den Künstlern mit der Wahl ihres Objektes recht: Der Meteorit ist im Selbstverständnis der Menschen Himmelsbote und Kulturgut. Er ist Teil der Geschichte und der Identität der dort lebenden Menschen.
Die Künstler akzeptierten den Widerstand und präsentierten an Stelle des Meteoriten einen Eisenkubus, der genau so schwer ist wie die Gewichtsdifferenz, die sich beim zweimaligen Wiegen des Meteoriten ergab: 3600 Kilogramm.
Faivovich und Goldberg hatten damit einen Beitrag zur dOCUMENTA (13) geleistet, der zu den Ursprüngen unserer Welt führte und der unserer Vergangenheit einen greifbaren Punkt für deren Anfang gab.
Die Geschichte der Meteoriten schien so gut wie abgeschlossen – bis gestern bei der russischen Millionenstadt Tscheljabinsk am Ural ein Meteorit spektakulär niederging. Dank der Tatsache, dass dort viele Russen in ihren Autos aus Sicherheitsgründen Videokameras installiert haben, wurde der Ablauf vielfach gefilmt. Man sah erst so etwas wie einen großen Stern oder Kometen, dann eine glühende Kugel mit einem langen Feuerschweif. Die Größe des Meteoriten kannn nur geschätzt werden. Mittlerweile gehen Experten davon aus, dass der Meteorit einen Durchmesser von zehn bis 15 Metern hatte und etwa 7000 Tonnen schwer war, also ursprünglich sehr viel größer war als El Chaco. Wenn man jedoch voraussetzt, dass El Chaco beim Eintritt in die Erdatmosphäre ebenfalls zerplatzte, kann man davon ausgehen, dass er ursprünglich viel größer als der in Russland niedergegangene Eisenkoloss war.
Vorwiegend sind nur Bruchteile (Splitter) auf der Erde gelandet, da der Meteorit, der mit etwa 50.000 Kilometern pro Stunde auf die Erde zugerast sein soll, in etwa 30 bis 50 Kilometer Höhe in Tausende Einzelteile zerplatzte und verglühte. Möglicherweise ist der größte Brocken in einen zugefrorenen See eingeschlagen.Die Menschen glaubten an einen Flugzeugabsturz oder eine Atomexplosion. Die Folgen der Explosion waren denen eines Erdbebens ähnlich. Über tausend Menschen sollen durch die Splitter verletzt worden sein.
Auf einmal ist die Vergangenheit zur Gegenwart geworden. El Chaco, der für die vorgeschichtliche Zeit stand, ist zu einem Vorläufer des Gegenwärtigen geworden. Er ist für die dOCUMENTA (13) noch wichtiger geworden. Und wenn man sieht, welche Lichterscheinungen und Druckwellen dieser Meteorit auslöste, dann ist gut vorstellbar, dass der Meteoritenregen von vor 4000 Jahren, bei dem viel größere Brocken die Erde erreichten, sich tief in das Gedächtnis der dort lebenden Menschen und ihrer Nachkommen eingegraben hat.Auch dieser namenlose Meteorit ist so alt wie El Chaco. Das heißt: Durch die Meteoriten wird immer wieder die Verbindung zum Ursprung der Welt hergestellt.