1976 starb im Alter von 52 Jahren Marcel Broodthaers, der zu den wichtigsten Anregern der zeitgenössischen Kunst zu rechnen ist. Das Kölner Museum Ludwig lässt jetzt in einer Ausstellung noch einmal den Umfang des Broodthaers‘schen Werkes sichtbar werden, dessen Glanz, Treffsicherheit und Faszination sich gar nicht so sehr aus einer bestimmten plastischen oder malerischen Gestaltungskraft ableiten, sondern in der Fähigkeit des Belgiers gründen, die Kunst dem Zweifel auszusetzen und daraus künstlerischen Formulierungen zu gewinnen.
Broodthaers war ein Wanderer zwischen den Welten, wuchs in Brüssel auf, lebte in Paris, Düsseldorf, London und Köln. Er war zehn Jahre lang Dichter, ehe er sich der bildenden Kunst verschrieb. Aber auch unter den Malern und Bildhauern blieb er immer ein Poet, der mit den Bildzeichen ebenso sicher umzugehen verstand wie mit den Buchstaben und Wörtern.
Als in den beiden ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts Künstler der verschiedenen Richtungen die überlieferten Kunstvorstellungen aufzubrechen versuchten, war es Marcel Duchamp, der einen serienmäßig gefertigten Flaschentrockner und ein Urinoir als Kunstwerke ausstellte. Die Schönheit des Massenproduktes wurde hier in den Gegensatz zu der des Originalwerkes gestellt, Kunst zu einem Problem der Setzung, der Willkür erklärt. René Magritte, darauf aufbauend, kehrte die Bilderbuchwahrheit um, die jeden Gegenstand unumstößlich mit einem Begriff belegt: Unter das Bild einer Pfeife schrieb er „Dies ist keine Pfeife“ – sondern eben das Bild einer Pfeife, ein Kunstwerk vielleicht.
Broodthaers erscheint wie ein legitimes Kind dieser beiden Künstler. Sich auf der Magritteschen Linie bewegend, inszenierte er Ausstellungen in denen er unter jedem gezeigten Objekt, ob Massenprodukt oder anerkanntes Kunstwerk, ein Schild mit der Aufschrift „Dies ist kein Kunstwerk“ anbrachte. Kunst war mithin zur Fiktion erklärt und der Betrachter herausgefordert, selbst über die Bildwelten und ihre Abgrenzungen nachzudenken.
Als Basis und Rahmen seiner wichtigsten Arbeiten diente Broodthaers sein 1968 gegründetes fiktives „Museum der Modernen Kunst – Abteilung Adler“. Höhe- und Glanzpunkt dieser Auseinandersetzung mit der Museumskunst war seine 1972 in der Düsseldorfer Kunsthalle gezeigte Ausstellung „Der Adler vom Oligozän bis heute“. Aus allen Lebensbereichen waren Adler-Darstellungen vereinigt, ständig begleitet von der Versicherung, daß es sich nicht um Kunstwerke handele. Der Besucher konnte sich mit einem jahrtausendealten Symbol, seiner Vermarktung, seiner künstlerischen Überhöhung und seiner Infragestellung auseinandersetzen. Man übte sich ein in die Kunst des Zweifelns, des Sehens und auch des Schmunzelns.
Die Kölner Ausstellung kann nur die Erinnerung an solch gelungene Inszenierungen wachrufen, ohne sie nachzuvollziehen oder auf einer neuen Ebene neu zu verwirklichen. Man sieht im Museum Ludwig sehr eindringliche Beispiele für den Entwicklungsgang von Broodthaers: Muschel- und Eierschalenobjekte und begriffsverwirrende Tafeln und Bildentwürfe. Es sind Kostproben aus einem sehr gedanklichen und dabei höchst anschaulichen Lebenswerk.
Rheinische Post 10. 11. 1980
Erinnerung beschwören
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