Die Zerstörung des Antlitzes

„Ich habe den Krieg nicht gemalt… Doch es besteht kein Zweifel, daß der Krieg in meinen Bildern existiert. Vielleicht wird später ein Historiker nachweisen, daß sich meine Malerei unter dem Einfluß des Krieges verändert hat, Ich selbst weiß es nicht.“ Das erklärte der in Frankreich lebende spanische Maler Pablo Picasso unmittelbar nach Kriegsende. Jetzt hat das Museum Ludwig in Köln dem Werk von „Picasso im Zweiten Weltkrieg“ eine ganze Ausstellung gewidmet, um dieses Problem zu untersuchen. Das Ergebnis ist eine meisterhafte, in Teilen beklemmende Ausstellung mit rund 40 Gemälden und 34 Zeichnungen sowie Grafiken. Doch die Antwort auf die Frage, inwieweit der Krieg Picasso und sein Werk verändert habe, fällt nicht eindeutig aus.
Der Katalog mit seinen zahlreichen, alle denkbaren Beziehungen ausleuchtenden Texten lässt immerhin sichtbar werden, dass in der unmittelbaren Nachkriegszeit Picasso häufig als politischer Künstler missverstanden wurde. Seine Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei wurde im Zeichen des Kalten Krieges als Argument gegen sein Künstlertum benutzt. Außerdem wurde vielfach übersehen, dass sein legendäres Guernica-Gemälde, das als die künstlerische Antwort auf den Terror des 20. Jahrhunderts gilt, ein herausragendes Bild ist, aber in der Thematik ein Einzelwerk blieb.
Und doch entstanden in den Jahren zwischen 1939 und 1945 Bilder, die sich gegenüber dem Gesamtwerk deutlich abheben. Picasso schuf zahlreiche Frauenporträts mit wild entstellten Gesichtern: Das menschliche Antlitz ist zerstört, von Angst gezeichnet und Angst machend. Das Porträt wird zum Zerrbild, zum doppelgesichtigen Wesen. Die meist in gedeckten und dunklen Farben gehaltenen Bilder knüpfen an die kubistische Aufarbeitung von Figur und Raum an, mit der Picasso 30 Jahre zuvor der Durchbruch zu einer neuen Bildsprache gelungen war.
Die Flächen, Gegenstände und Personen sind kantig geschnitten; sie zergliedern sich in Dreiecks-, Kegel- und Halbkreisformen. Doch Picasso kehrt um 1940 nicht zur rein flächigen Kompositionsweise zurück, sondern gibt den Gestalten Volumen, Körperlichkeit. Dies wiederum erlaubt es ihm, die Gesichter in der Bewegung zu zeigen – Frontalsicht und Profil sind ineinander verschmolzen, oft zu doppelten Augen-, Nasen und Kinnpartien verkürzt.
Der dunkle Schrecken, der aus diesen Bildern spricht, kündet ohne Zweifel vom Krieg, ohne ihn zu benennen. Bereits im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges malte Picasso ähnliche, vorausahnende Schreckensvisionen. Doch damit allein ist der Umschwung im Werk des Künstlers nicht erklärt. Diese Bilder sind nämlich auch eine Antwort auf eine andere, eine künstlerische Krise: In der Auseinandersetzung mit den Realisten, Surrealisten und Abstrakten jener Zeit suchte Picasso für sich selbst eine neue Standortbestimmung und fand sie in der Neuformulierung seiner im Kubismus gewonnenen Ausdrucksmöglichkeiten.
Vorausgegangen war schließlich noch eine persönliche Krise – die Trennung von seiner Frau Olga. Picasso suchte und fand sein Leben lang die Frauen, und es ist nicht auszuschließen, dass er in diesen Bildern auch mit seinem „Frauenkomplex“ abzurechnen versuchte.
HNA 12. 5. 1988

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