Erneut lockt das Stadtmuseum Hofgeismar mit einer überregionalen Kunstschau. Zu sehen ist eine selten gezeigte Serie von Collagen, die in Zusammenarbeit mit einem Fotografen entstand.
Bis in sein hohes Alter war Pablo Picasso (1881 – 1973) experimentierfreudig. Als er um die 80 Jahre alt war, faszinierte ihn die flächige Darstellung. Selbst die dreidimensionale Plastik reduzierte er auf die Fläche, indem er sieh damit begnügte, Bleche auszuschneiden und ihnen durch weitere Schnitte Form und figürlichen Ausdruck zu geben. Ähnliche Wirkungen erzielte er mit dem Linolschnitt, den er zu dieser Zeit besonders intensiv pflegte.
In eben dieser Zeit entstand in Zusammenarbeit mit dem Fotografen AndrVil1ers eine Serie von 30 Fotocollagen, die, ergänzt durch Geschichten von Jacques Prövert 1962 in einer Auflage von 1000 Stück unter dem Titel „Diurnes“ (Tagtiere) als buchförmiges Mappenwerk herausgegeben wurden. Die nur selten komplett gezeigten Blätter bilden den Schwerpunkt der kleinen Hofgeismarer Picasso-Ausstellung. Man blickt in eine heiter-rätselhafte Bilderwelt voller Fratzen und Geister, ebenso sieht man surreal-poetische Landschaften, in denen die weißen Schatten von Tieren und Menschen erscheinen.
Die Collage-Arbeiten werden als Decoupagen, Ausschneidearbeiten, bezeichnet. Picasso stellte durch Schnitte in schwarzes und weißes Papier die Umrisse von Figuren und Köpfen her, die Villers dann auf seine Fotos klebte. Mal setzte er weiße Figuren als visionäre Erscheinungen in Landschaftsansichten hinein, dann wieder klebte er die schwarzen Blätter, aus denen die Köpfe herausgeschnitten sind, auf Großaufnahmen von Strukturen (Mauern, Gräser, Zweige, Gardinen und Aste). In eben diesen Bildern, in denen sich Strukturfotos in fremdartige Gesichter verwandeln (hineingeklebte schwarze Nasen und Augen steigern den Effekt), wird Picassos übersprudelnde Fantasie spürbar.
Diese Tagtiere wirken bizarr und witzig. Besonders reizvoll sind die Bildgruppen, in denen eine wiederkehrende Form in den Zusammenklang mit unterschiedlichen Motiven gebracht wird. So füllt sich ein Ziegenkopf erst mit einem Kistenstapel, dann mit einer abblätternden Wand und schließlich mit einer Landschaft oder mit Gräsern und einem Zaun. Im Gegensatz dazu erscheinen die Landschaftsbilder, in die weiße Figuren eingefügt sind, konstruiert. In ihnen gehen Picassos Geist und Handschrift verloren. Daneben birgt die Hofgeismarer Ausstellung drei Radierungen aus den Jahren 1947/49, die von großer Zartheit sind; in einem Blatt wird ein Gesicht auf zehn Linien reduziert. Vier farbkräftige, clowneske Lithografien (,‚Portraits Imaginaires“) sowie Plakatmotive ergänzen die Schau und verweisen auf die anderen Seiten von Picassos Werk.
HNA 11. 8. 2000