Jähes Ende eines zweiten Lebens

Der Künstler und Kunstprofessor Adolf Buchleiter ist im Alter von 70 Jahren an den Folgen eines Unfalls gestorben. Er hatte erst in jüngster Zeit Einblick in sein herausragendes Werk gegeben.
Als der Kasseler Kunstverein Ende vorigen Jahres die Einladungen zu der Ausstellung „Zwischen göttlicher und menschlicher Komödie“
von Adolf Buchleiter verschickte, reagierten viele Empfänger verstört: Das übermalte Polaroidfoto auf der Karte wirkte wie das Porträt eines Kranken oder Sterbenden. Aber der Zeichner, Maler und Gestalter Buchleiter war von keiner Todessehnsucht befallen. Im Gegenteil, es schien so, als würde er Gefallen finden an seinem zweiten Leben, das ihm eine spontane und breite Anerkennung als Künstler bescherte
Bis 1992 hatte Buchleiter als Professor im Fachbereich Produkt Design der Gesamthochschule Kassel im Fäch Gestaltlehre unterrichtet. Dass er nebenher auch für sich selbst künstlerisch arbeitete, hatte sich herumgesprochen, doch die Qualität und Dimension insbesondere seines zeichnerischen Werkes waren nur seinen Freunden bekannt. Nun aber hatte er sich endlich entschlossen, sein Werk öffentlich zumachen. Zwei Zeichnungsbände erschienen im Herbst im Rothkegel Verlag, und dann zeigte im Dezember und Januar der Kasseler Kunstverein die Ausstellung (mit Katalog), die danach bis Ende Februar im Kunstverein Pforzheim zu sehen war.
Der Erfolg beider Unternehmungen war für Buchleiter überwältigend. Denn da wurde niemand aus Gründen des Alters gefeiert, sondern weil auf einmal ein unerwartetes Werk sichtbar wurde, das alles zwischen dem heiteren Spiel, der handwerklichen Perfektion und Anmut und der Apokalypse zu offenbaren schien. So wollte Buchleiter auch nicht mehr länger ausschließen, die Ausstellung noch an einem dritten Ort zu zeigen.
Aber dann ereilte ihn das Unheil: Beim Überprüfen seiner großformatigen, mit Holz und Plexiglas gerahmten Bilder, die aufrecht an der Wand lehnten, stürzten diese auf ihn und verletzten ihn so schwer, dass er mehrere Tag im Koma lag und am Wochenende starb. Die Nachricht ist für alle, die ihn kannten, unfassbar.
Und doch kommt man von dem Gedanken nicht los, dass der großartige zeichnerische Kosmos, den Buchleiter gestaltet hat, solche Schreckensvisionen nicht ausgespart hat. Immer wieder tauchen in seinen Bildern gefährdete Menschen auf. Nicht weniger eindringlich sind Buchleiters aus mehreren Blättern bestehenden Großformate, in denen die Menschenmassen zur Höllenversammlung zu werden scheinen.
Adolf Buchleiters Zeichnungen sind von einer archaischen, kindlich-düsteren Formensprache beherrscht. Aus feinen Linien und groben Schraffuren bauen sich die Formen auf. Daneben sind malerisch geprägte Bilder entstanden, in denen der Künstler zwischen einer freien, fast wilden Komposition und festen Porträtformen wechselte.
Zum Schaffen von Adolf Buchleiter gehört aber noch ein ganz anderer Komplex: Er hatte ein Schwäche für filigrane Konstruktionen, die wie Traummaschinen wirken. Die zarten, hochbeinigen Holzkonstruktionen schweben, schaukeln und rotieren lautlos. Sie gleichen Konstruktionsmodellen; sie sind aber keine Modelle für etwas anderes – es sei denn, dass sie für die Welt der heiteren, schön und perfekten Form stehen. Diese gestaltete Eleganz hatte Buchleiter – zusammen mit seinen Studenten – schon vor vielen Jahren der Öffentlichkeit vorgestellt.
Das „Fliegwerk“ und seine anderen liebenswerten Erfindungen waren sein Markenzeichen. In diesen so leicht und spielerisch wirkenden Werk glaubte man, seine heitere Wesensart wiedererkennen zu können. Aber in dem Spielerischen verbirgt sich jener visionäre Ernst, der in seinem zeichnerischen und malerischen Werk massiv hervortritt.

HNA 7. 3. 2000

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