Ein Höhepunkt im Programm des Kasseler Kunstvereins ist die Ausstellung, die dem künstlerischen Werk von Adolf Buchleiter gewidmet ist.
Es gibt noch Entdeckungen zu machen. Eine außerordentliche ermöglicht jetzt der Kasseler Kunstverein mit der Vorstellung des Schaffens von Adolf Buchleiter. Der frühere Kasseler Kunsthochschullehrer für Gestaltung ist kein Unbekannter. Dass er künstlerisch arbeitete, hatte sich herumgesprochen, doch nur wenige kannten die Intensität und Dimensionen seiner Atelierarbeit, da sich Buchleiter dem Ausstellungsbetrieb fast völlig entzogen hatte.
Nun aber meldet er sich zu Wort – und zwar in einer so eindringlichen und überwältigenden Weise, dass auch die interessantesten und experimentellsten Ausstellungen des Kunstvereins aus jüngster Zeit dagegen verblassen. Und plötzlich hat man das Gefühl, dass vieles von dem, was zur zeitgenössischen Zeichnung gesagt worden ist, neu überdacht werden muss. Buchleiters Werk gehört in die vorderste Reihe. Es zeugt von Akribie und Besessenheit, von Expressivität und tiefer menschlicher Erfahrung. Diese Bilder sind ästhetisch schön und begeisternd, sie bedrücken aber auch mit ihren düsteren Visionen.
„Zwischen göttlicher und menschlicher Komödie“ lautet der Titel der Ausstellung. Heiner Georgsdorf stellt in dem zum Ausstellung erschienenen Katalog sehr überzeugend die Bezüge zu Dantes „Göttlicher Komödie“ und den dazu angefertigten Illustrationen sowie zu dem Werk Buchleiters her. Buchleiters Bilder, die alle aus der Zeichnung erwachsen sind, gehen weit über das Illustrative hinaus. Sie schaffen ihre eigenen Visionen. Wenn man vor den großformatigen, mehrteiligen Blättern steht und wenn man sieht, wie sich Hunderte von menschlichen Köpfen und Leibern dicht an dicht zu einem riesigen Feld zusammen fügen, dann denkt man unwillkürlich an das Inferno, in das die Opfer der Nazis und des Krieges geschickt wurden. Buchleiters Kompositionen sind offen für diese Gedankenverbindungen, sie sind aber nicht darauf festgelegt.
Die Erfahrung des Leids muss für den Zeichner tief und existenziell gewesen sein. Vor allem bei den kleinen, mit kräftigem, fast wildem Strich gezeichneten Blättern spürt man, wie das Bildnis des Menschen immer wieder bedroht wird. Aber die spontane, expressive Komposition ist nur die eine Seite des Werkes.
Die andere ist eine völlig artifizielle Herangehensweise. Da baut Buchleiter meisterhaft aus kleinsten Elementen – mal sind es Köpfe oder Körper, mal geometrische Formen – ornamentale Strukturen auf, die wie Netze die Blätter überspannen. Nur in wenigen Fällen aber bleibt der Zeichner der angelegten Ordnung treu. In dem einen Fall türmen sich über den Menschenmassen düstere Hochhausmauern, in dem anderen wendet Buchleiter die Formen so, dass plötzlich Vexierspiele entstehen.
Dieses spielerische (und in gewisser Weise auch heitere) Element gehört unauflöslich zum Werk Buchleiters. Dafür, dass es nicht übersehen wird, sorgen die phantastischen Pendeltürme und schwebenden Kreisel, die der Künstler aus feinem Holz gebaut hat. Leicht und lautlos bewegen sie sich. Sie vermitteln eine Ahnung von schwereloser Schönheit ment die der Künstler aus feinem Holz gebaut hat. Leicht und lautlos bewegen sie sich.
HNA 7. 12. 1999