Eine Frau für den Himmelsstürmer

Der Kasseler „Himmelsstürmer“ bekommt eine Frau: Nachdem der amerikanische Künstler Jonathan Borofsky (51) zur Kasseler documenta 9 die populäre Skulptur „Man walking to the sky“ geschaffen hatte, entwarf er nun für Straßburg das Gegenstück – „Woman walking to
the sky“. Auch in Straßburg handelt es sich um eine überlebensgroße (farbige) Figur aus Fiberglas, die auf einem 25 Meter langen, schräg aufgestellten Rohr balanciert. Es sei Zeit, das Weibliche zu betonen, von dem wir alle einen Teil in uns hätten, meint Borofsky zu seiner Arbeit.
Wie schon zur documenta wird Borofskys Arbeit vorwiegend positiv interpretiert – als aufsteigende, in den Himmel laufende Figur. Die Absturzgefahr wird gern übersehen. In Straßburg wird die Skulptur vor einem Einkaufszentrum aufgestellt.
Die Kasseler Arbeit „Man walking to the sky“ wurde durch eine Spendenaktion für Kassel gesichert und soll künftig auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofs stehen. Offensichtlich ist diese Nachricht zu dem Künstler nicht durchgedrungen: In einem von Straßburg aus verbreiteten Interview spricht er davon, Kassel habe auf den Erwerb verzichtet. Wieso sein Kontakt zur documenta-Stadt derart gestört ist, war gestern nicht herauszufinden.
Borofskys Skulptur wird zusammen mit drei anderen künstlerischen Projekten am 25. November in Straßburg vorgestellt. Dann wird auch die neu geschaffene, 12 Kilometer lange Straßburger Straßenbahnlinie eröffnet, die den Rahmen für das Stadtprojekt mit moderner Kunst schuf: Mario Merz realisiert auf einer Länge von 1,3 Kilometern mit Hilfe von zwischen den Schienen eingelassenen Leuchtkästen eine Fibonacci-Zahlenreihe (1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21…). Barbara Kruger hat eine Fotowand und Texte für die einzige unterirdische Station am Hauptbahnhof geschaffen. Und Gérard Collin-Thiélbault hat die Rückseiten von Fahrkarten mit Straßburger Hausnummern versehen und so ein Domino-Spiel gestaltet.
HNA 15. 11. 1994

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