Liebe Frau Debus,
liebe Familien Stockmeyer,
sehr verehrte Trauergemeinde,
wir nehmen Abschied von einem Freund und Mitstreiter, von einem Menschen, der aus seiner Liebe zur Musik und zur Kunst die Verpflichtung ableitete, die kreativen Kräfte zu stärken und damit die Lebensqualität zu verbessern. Es ging ihm nicht nur um kulturellen Genuss, sondern um Anspruch und Leistung. Und wo ihm die Qualität gefährdet schien, erwachte in ihm der Kämpfer, der sich mit Leidenschaft für den angemessenen Standard einsetzte – wie etwa in der Sorge um den A-Status des Staatstheaterorchesters. Oder er stritt mit Vehemenz als Mitglied und Partner des documenta forums für den Erwerb des Szeemann-Archivs oder für die Schaffung eines documenta-Zentrums.
Volker Stockmeyer war in diesem Sinne ein „Bildungsbürger mit gesellschaftlicher Verantwortung“, wie Heiner Georgsdorf in seinem Kondolenzbrief schreibt. Beide, Stockmeyer und Georgsdorf, hatten über Jahre produktiv im Vorstand des Kunstvereins zusammengearbeitet.
Es schien damals nahe zu liegen, den Leiter des Finanzamtes zum Schatzmeister des Kunstvereins zu berufen. Einen besseren Hüter der Vereinskasse konnte man sich kaum denken. Doch schon im Kunstverein ließ Volker Stockmeyer erkennen, dass er sich nicht nur für die Bilanzen zuständig fühlte. Die documenta, die Ausstellungen des Kunstvereins und der Kunsthalle Fridericianum sowie die ungezählten Fahrten zu Ausstellungen hatten ihn zu einem Kenner und Anwalt der zeitgenössischen Kunst werden lassen.
Möglicherweise hatte man auch in erster Linie den Finanzmann gesehen, als 2002 die Stiftung „7000 Eichen“ gegründet und Volker Stockmeyer zum ersten Vorstandsvorsitzenden gewählt wurde. Er schien der richtige Mann zu sein, um die Stiftung voran bringen zu können. Aber auch hier konzentrierte sich der Jurist nicht nur auf den geschäftlichen Teil, sondern sah die Wahrung und Pflege des Beuysschen Erbes als eine Gesamtverantwortung an.
Rhea Thönges-Stringaris, die in Kassel die erste Vermittlerin der Beuysschen Ideen war und die seit Anbeginn zum Kuratorium der Stiftung gehört, meinte anfangs bei Stockmeyer eine gewisse Distanz zum Werk von Joseph Beuys zu spüren. „Doch,“ so schreibt sie in ihrem Kondolenzbrief, „was auch immer ihn anfänglich irritiert haben mag, das änderte sich zusehends: das Umgehen mit den Bäumen, die Sorge und Verantwortung um ihr Wohlergehen, das „Wachsen“ mit ihnen, verschafften ihm mit der Zeit nicht nur Freude, sondern erwärmten ihn sichtbar immer mehr für die Beuys‘ Ideen insgesamt“.
In der Tat ist die Stiftung zu seiner ureigenen Sache geworden. Er kämpfte erfolgreich um den Erhalt einzelner Beuys-Bäume – wie der beiden Stieleichen vor dem Portal der Neuen Galerie, er sah darauf, dass auch auswärtige Kunstexperten – wie Jan Hoet und Veit Loers – die Stiftungsarbeit befruchteten und er sorgte immer wieder für Anlässe, bei denen die Aktion „7000 Eichen“ ins Bewusstsein gerufen wurde. Dabei verfolgte er nicht nur die große theoretische Linie, sondern war auch stets bereit, die notwendigen kleinen, Zeit und Kraft kostenden Dinge zu erledigen – wie die Präsenz am Stand „7000 Eichen“ bis weit nach Mitternacht in der Museumsnacht.
Im documenta-Jahr 2012 konnte Volker Stockmeyer zwei wesentliche Ziele erreichen: Unmittelbar neben dem Kulturbahnhof wurde eine Straße nach Joseph Beuys benannt. Außerdem gelang ihm die Herausgabe des Buches „30 Jahre Joseph Beuys 7000 Eichen“, das zahlreiche Aufsätze zu dem einmaligen Projekt enthält. Volker Stockmeyers Vorwort belegt, wie sehr die Ideen von Beuys sein Denken ergriffen und verändert haben. So heißt es an einer Stelle: „Die Aktion als Ganzes wendet sich an den Menschen als soziales Wesen, der aufgefordert wird, sein Potenzial an Kreativität zu entdecken und für die Gesellschaft wirksam werden zu lassen.“ An anderer Stelle meinte er: „Beuys hat damit die ursprünglich rein ästhetische Idee des Gesamtkunstwerks radikal verworfen und die Kunst neu definiert hin auf die Erneuerung der Gesellschaft.“ Beuys wäre stolz auf diese Fernwirkung.
Indem Volker Stockmeyer die sieben Thesen zu „7000 Eichen“ in sein Vorwort integrierte, hinterließ er uns und der Stadt ein Vermächtnis – nämlich dafür zu sorgen, dass ein Ort geschaffen wird, an dem die Baumpflanzaktion und deren Wirkung dokumentiert wird. Das Versprechen will eingelöst werden.
Volker Stockmeyer war uns mit seinem Engagement Vorbild. Mir selbst war ein guter und zuverlässiger Gesprächspartner in der Stiftung „7000 Eichen“ und im documenta forum. Er konnte sich begeistern lassen und andere mit seiner Begeisterung anstecken. Er wird uns auf vielen Feldern fehlen. Wir können seiner am besten gedenken, indem wir uns in ähnlicher Weise für die Kultur und die in ihr schlummernden gesellschaftlichen Möglichkeiten stark machen.
Dirk Schwarze 5. 4. 201