Geschichtete und verbrannte Bilder

Kurz vor Vollendung seines 80. Lebensjahres ist der italienische Maler Alberto Burri einem Lungenleiden erlegen. Er gehörte zu den Hauptvertretern einer abstrakten, sinnlichen Kunst. Farbe war für ihn nicht bloß eine optische Erscheinung, sondern Materie, besser gesagt: handfestes Material.
Der toskanische Maler Alberto Burri setzte in vielen seiner Bilder die Farben als dicke Masse ein, die er schichtweise aufbaute, aufplatzen ließ und mit anderen Materialien kombinierte. Seine Gemälde wurden zu Reliefs, denn in die mit Farbe aufgebauten Leinwände fügte er Sackstoffe, Holzbretter oder Metall- platten ein.
Alberto Burri knüpfte mit dieser Gestaltungsweise an die um 1920 entwickelten Materialbilder (Assembiagen) etwa eines Kurt Schwitters an. Während es Schwitters und anderen aber auch um den provokativen Einbezug der Wirklichkeit gegangen war, bewegte sich Burri auf einer anderen Ebene. Die geschichteten und aufgerissenen Farben waren für ihn von der Stofflichkeit her nichts anderes als die übrigen Materialien, andererseits begriff er diese Dinge als Farben mit vorgegebener Oberflächenstruktur.
Dreimal war Burri an der Kasseler documenta beteiligt: 1959 und 1964 wurde er als einer der Pioniere der abstrakten Malerei gewürdigt. Als 1982 die documenta erneut an Burri erinnerte, hatte er einen großen Entwicklungssprung hinter sich. Mittlerweile hatte er nämlich mit verbrannten Kunststoffen experimentiert und Bilder geschaffen, aus denen nachtschwarze Löcher klafften. Burris Weg war ein doppelter: Einerseits ging er im Laufe der Zeit immer stärker zu einer zeichenhaften Farbigkeit über, zum anderen verfestigten sich seine Arbeiten allmählich zu Körpern, so dass er konsequenterweise Ende der 70er Jahre begann, Skulpturen zu schaffen.
Alberto Burri, ursprünglich zum Arzt ausgebildet, hatte Kunst nicht studiert; er war Autodidakt. Gleichwohl gehörte seit den 50er Jahren zu den einflussreichsten italienischen Künstlern. Seine unverbildete Art, die unterschiedlichsten Materialien als „Malstoffe“ verwenden, ließ ihn zu eine Vorreiter der erweiterten Kunst werden, wie sie sich in den 60er Jahren europaweit etablierte. Jetzt starb Burri in einem Krankenhaus in Nizza.
HNA 15. 2. 1995

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