Ist Willi Sitte ein normaler Künstler?

Die überraschende Verschiebung einer für das nächste Jahr geplanten Willi-Sitte-Ausstellung in Nürnberg hat erneut einen Streit über den Umgang mit der Kunst aus der DDR-Zeit entfacht.
DerVorgang ist mehr als peinlich: Ein halbes Jahr vor dem Start ist, wie berichtet, die Willi-Sitte-Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg verschoben worden. Die Drucklegung des Kataloges wurde gestoppt, und noch vor dem 79-jährigen Künstler erfuhren die Leihgeber und die Medien von dem Vorgang.

Für den Maler und langjährigen Präsidenten desVerbandes Bildender Künstler der DDR ist dies kein ungewöhnlicher Vorgang. Ausstellungsabsagen hat es für ihn in den letzten Jahren wiederholt gegeben, Und in den ostdeutschen Museen, in denen er zu DDR-Zeiten flächendeckend vertreten war, sind seine Bilder kaum noch zu sehen. Doch was steckt jetzt hinter der Verschiebung der Ausstellung?

Bayerns Kunstminister Hans Zehetmair nannte in einem Interview die Begründung: „Das Werk kann einfach nicht unkommentiert präsentiert werden.“ Sollte es ja auch nicht. Denn schon in der Ankündigung war die Rede davon, dass außer 100 Werken von Willi Sitte auch Dokumente zu seiner Arbeit als Verbandspräsident gezeigt werden sollten. Aber offensichtlich reichte den politisch Verantwortlichen das nicht, was als Dokumentation geplant war.

In dieser Beziehung bekommt der Nürnberger Museumsdirektor Ulrich Großmann zu spüren, dass im Verwaltungsrat seines Museums das Land Bayern und der Bund vertreten sind, also Zehetmair und Kulturstaatsminister Michael Naumann ein Mitspracherecht haben. Das haben sie wohl genutzt. Da man andererseits nicht davon ausgehen kann, dass die Ausstellungsplaner naiv an ihr Vorhaben gegangen seien, deutet die plötzliche Verschiebung auf einen Akt der Zensur: Ein staatlicher Eingriff West sorgt dafür, dass das Wirken eines eheinaligen Staatskünstlers Ost nicht so präsentiert wird, wie die Experten gewollt hatten. Wovor hat man Angst? Weder verherrlichen Sittes Bilder die DDR noch besteht die Gefahr, dass der ehemalige Kunstfunktionär zum Propheten einer falsch >verstandenen Kunst werden könnte.

Kompliziert wird der Fall da-durch, dass Sittes Bilder auch dann umstritten wären, wenn er gar nicht einer der Vorzeigekünstler der DDR gewesen wäre. Sein aus der Tradition von Corinth und Dix entwickelter kritischer Realismus hat in der deutschen Museumslandschaft keine Konjunktur. Im vereinten Deutschland hat Sitte keine Chance, zu einem normalen Künstler zu werden.

28. 12. 2000

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