Am Beispiel des Malers Willi Seite wird klar, wie schwierig der Umgang mit der DDR-Kunst und -Geschichte ist. Willi Sitte wird heute 80 Jahre alt.
Zwei Jahrzehnte hatte er im Rampenlicht gestanden und war Aushängeschild der DDR-Malerei gewesen. Willi Sitte, seit seiner Jugend überzeugter Kommunist, war Präsident des Verbandes Bildender Künstler und saß in der Kulturkommission des Zentralkomitees der SED. Er trug die Kulturpolitik mit, die zur Ausbürgerung zahlreicher Künstler führte, war aber gleichzeitig stolz darauf, dass in seine Präsidentschaft die Absage an den Sozialistischen Realismus fiel und er die Kunst vor der Vereinnahme durch die Partei bewahren konnte.
So war es konsequent, dass sich Willi Sitte unmittelbar nach der Wende aus dem offiziellen Kunstbetrieb zurückzog. Mit Bitterkeit hatte er registriert, dass nahezu alle ostdeutschen Museen, die ihn einst hofiert hatten, seine Bilder in die Depots verbannten. In den neuen Bundesländern, so lautete sein Grundsatz, werde er nicht mehr ausstellen. Brauchte er aus wirtschaftlichen Gründen auch nicht mehr, weil er genügend Privatkunden hatte und die westdeutschen Museen mit ihm freundlicher umgingen.
Aber Sitte und seine Förderer täuschten sich. Eigentlich hätte der Streit um die Weimarer Ausstellung „Aufstieg und Fall der Moderne“, in der die DDR-Kunst als Produkt einer ideologischen Epoche diffamiert wurden Doch wahrscheinlich glaubte der Maler, dass die westdeutschen Museen mit ihm und seinem Werk unverkrampfter umgehen könnten. Also ließ er sich auf das Angebot des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg ein, dem Museumsarchiv seine Dokumente zur Auswertung zu überlassen und mit dem Museum gemeinsam aus Anlass seines heutigen 80. Geburtstages für den Sommer eine Ausstellung zu planen.
Der Ausgang der Geschichte ist bekannt: Die Vertreter des Landes Bayern und des Bundes im Verwaltungsrat des Museums zogen die Notbremse, forderten eine Überarbeitung der Ausstellungskonzeption und des Kataloges und eine Verschiebung des Termins, so dass am Ende Sitte verärgert das Projekt absagte. Der Vorgang war doppelt peinlich, weil der Museumsleitung unterstellt Wurde, sie könne mit der Biografie eines umstrittenen Künstlers nicht umgehen, und weil mit Sitte Werk wieder einmal die Kunst der DDR-Zeit in die Ecke gestellt wurde.
Willi Sitte stand stets zu seiner Vergangenheit. Trotzdem kam es für ihn und seine Umgebung überraschend, wie unmittelbar er zehn Jahre nach der Wende von seiner Geschichte eingeholt wurde. Dass er immer wieder zum öffentlichen Fall wird, hat auch damit zu tun, dass – unabhängig von allen Täter-Opfer-Beziehungen – seine Kunst weithin als unzeitgemäß gilt, denn Sitte ist ein engagierter Vertreter der kritisch-realistischen Schule. Sein Malstil knüpft an die Tradition von Lovis Corinth und Otto Dix an. Er pflegt einen vom Expressionismus inspirierten Realismus, eine pralle, sinnliche Malerei, die in ihrer Anlehnung an die Collagetechnik die Brüchigkeit der Welt sichtbar werden lässt. Auch diese Bilder gehören zu unserer Wirklichkeit. An der Auseinandersetzung mit diesem Werk kommen wir nicht vorbei.
HNA 28. 2. 2001