Die Ausstellung „Wiedervorlage d5″, die sich mit Harald Szeemanns documenta von 1972 beschäftigt, wurde am Wochenende durch eine Tagung in der Evangelischen Akademie Hofgeismar ergänzt.
War es nur ein Familientreffen, bei dem Erinnerungen an die gute alte Zeit ausgetauscht und die kleinen Streitereien in gewohnter Weise fortgesetzt wurden? Phasenweise war das so. Wenn der brillant argumentierende Bazon Brock, der zur documenta 5 eine beispielhafte Besucherschule entwickelt hatte, dem Polit-Grafiker Klaus Staeck vorwarf, er habe die politische Dimension des Konzepts der parallelen Bildwelten von damals nicht verstanden, nachdem dieser vom Verrat an der ursprünglichen Planung gesprochen hatte, dann war man mitten in den alten Schaukämpfen. Und wenn Harald Szeemann seine Rolle als documenta-Macher verklärend beschrieb und die Kasseler Ausstellung zu einem folgerichtigen Kapitel in seiner Biografie machte, war man von einer wirklichen Aufarbeitung weit entfernt.
So wurde in den lebhaften Gesprächen und Diskussionen nur indirekt deutlich, dass die als großer Wurf gefeierte Ausstellung das Ergebnis vieler unterschiedlicher Bemühungen, Widersprüche, Kämpfe und Zufälle war. Vor allem bei der Zeitzeugenbefragung vermisste man die Brechung der erinnernden Darstellungen durch einen kunsthistorisch wertenden Blick von außen. Es fehlte, wie ein Tagungsteilnehmer beklagte, die wirkliche Kontroverse über den Stellenwert der documenta 5. Immerhin wurde in dem letzten Teil der Tagung, über den wir morgen berichten, das Verständnis der documenta 5 aus der Sicht der „Nachgeborenen“ gespiegelt.
Trotzdem war die Tagung in der Evangelischen Akademie Hofgeismar mehr als nur ein Familientreffen, bei dem sentimentale Erinnerungen alles zudecken. Schließlich gelang es, jenen, die das Ereignis von vor fast 30 Jahren nicht miterleben konnten, verständlich zu machen, warum die documenta 5 einen Markstein in der Ausstellungsgeschichte bildet. Mit ihr, so wurde vor allem durch Szeemanns Darlegungen klar, wurde ein neuer Typ der Großausstellung geschaffen, in der ein Einzelner für das Konzept verantwortlich ist. Zudem wurde, wie Brock sagte, in Auseinandersetzung mit den 68er-Ideen der Kunstbereich erstmals umfassend aufgebrochen und wurden neben Kunstwerken auch alle anderen Bildwelten berücksichtigt. Ebenso wichtig war die Veränderung des Ausstellungscharakters: 1972 wurde aus der musealen Schau ein Ereignis für 100 Tage.
In einem Punkt allerdings revidierte Szeemann die Verklärung seiner Kasseler Ausstellung. Viele halten die documenta 5 auch deshalb für so wichtig, weil in ihr erstmals die Künstler präsentiert wurden, die für die nächsten 25 Jahre international bestimmend werden sollten. Szeemann wies nun darauf hin, dass er die meisten von ihnen bereits 1969 in Bern in seiner Auestellung „When Attitudes Became Form“ gezeigt habe. Diese Berner Schau, die auch der Grund für seine Berufung zum documenta-Leiter gewesen war, sei die eigentliche Revolution gewesen.
HNA 26. 11. 2001