Kunst aus den Widersprüchen der Welt

In der vierzehnten Folge unserer Künstler-Porträts zur Documenta 11 stellen wir Andreas Siekmann (Jahrgang 1961) vor, der sich kritisch mit den Arbeits- und Produktionsprozessen beschäftigt.

Im viel beschworenen Jahr 1968 war der aus Hamm stammende Künstler Andreas Sielanenn sieben Jahre alt. Er ist also nicht Teil jener Generation, die – in Maßen – den Aufstand probte. Trotzdem gehört er zu den Künstlern, die ihre Themen direkt aus den Widersprüchen der Gesellschaft entwickeln und die Kunst als ein Mittel zur gesellschaftlichen Intervention begreifen. Nicht im Sinne der Agitation, sondern über Modelle. Der Künstler, der seine Vorstellungen über Zeichnungen und Installationen weitergibt, versteht sich als Vermittler.

1993 war Siekmann zur Teilahme an einem Ausstellungsprojekt in Arnheim eingeladen worden. Ausdrücklich waren die Künstler aufgefordert worden, nicht Werke für den abgeschlossenen Kunstraum zu schaffen, sondern Eingriffe (Interventionen) in den Stadtraum zu planen. Siekmann wählte einen Platz aus, der typisch ist für das heutige Dilemma der Stadtraumgestaltung: Der Platz besaß zwar mehrere Elemente, die seiner Belebung und einer funktionierenden Kommunikation dienlich sein sollten, aber er war als Begegnungsort tot: Der Künstler gab sich nicht der Illusion hin, er könne die ideale Alternative vorschlagen. Stattdessen führte er zahllose Gespräche und Interviews mit den unterschiedlichsten Gruppen aus der Bevölkerung Arnheims um zu erfahren, welche Vorstellungen die dort lebenden Menschen, von einem belebten Platz hätten. Auf der Basis der Gespräche entwarf er sieben unterschiedliche Modelle für den Platz. Das Spektrum reichte von einem Platz der dauernden Umgestaltung über einen Raum der Jugendlichen bis hin zu einem Platz, der im Winter den Obdachlosen Schutz bietet. Die Ergebnisse dieser planungskritischen Arbeit setzte Siekmann in Serien von politisch-realistischen Zeichnungen um. Diese Zeichnungen wiederum beziehungsweise deren Reproduktionen, präsentierte er auf dem Platz selbst.

Die Bewohner und Ausstellungsbesucher konnten sie durch Türspione betrachten, die Siekmann in einen Bauzaun eingelassen hatte, mit dem er einen Teil des Platzes abgetrennt hatte. Auf diese Weise war aus dem stadtplanerischen Diskussionsbeitrag auch eine künstlerische Installation hervorgegangen.

In anderen Arbeiten beschäftigt sich Siekmann mit den Problemen von Kapitalismus, Globalisierung und Massenarbeitslosigkeit. Dabei verknüpft er in seinen zeichnerischen Projekten gerne Stadtraumbilder, Firmenlogos und die Jeans als Symbol einer Gesellschaft, die aus einer schlichten Arbeitshose ein Objekt der modischen Kleidung gemacht hat. So nimmt der Künstler Sehweisen und Bildelemente der linken Kulturkritik auf.

Seinem Selbstverständnis nach ist Siekmann nicht nur Künstler, sondern auch Theoretiker und Kritiker. So stellt er sich auch in den Dienst anderer Künstler, die in ähnlicher Weise denken oder seine Sprache sprechen. In dem Wiener Ausstellungsraum Generali Fondation tritt er der¬zeit beispielsweise (bis 21. April) gemeinsam mit der Künstlerin Alice Creischer als Ausstellungskurator auf.

Unter dem Titel „Die Gewalt ist der Rand aller Dinge“ präsentieren sie die Arbeiten von 20 internationalen Künstlern, die sich mit dem Verhältnis von Kunst und Militanz auseinandersetzen. Ausgangspunkt sind die (gewalttätigen) Proteste gegen die Politik der Welthandelskon¬ferenz und der führenden Industriestaaten. Die Arbeiten, von denen einige auch militant politisch wirken, sind in eine theaterähnliche Inszenierung einge-bunden.
HNA 6. 4. 2002

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