Unverlangte Ratschläge an der Wand

Als der Holländer Rudi Fuchs 1982 die documenta 7 plante, gab er das Motto aus: „Zurück in das Museum“, Er wollte der Kunst wieder ihren Schutz-Raum geben, und die Neue Malerei triumphierte. Trotzdem hat keine andere do¬cumenta so viele in den öffentlichen Raum wirkende Kunstwerke im Stadtbild hinterlassen wie die Ausstellung von Rudi Fuchs.

An erster Stelle ist natürlich das Beuys-Projekt „7000 Eichen“ zu nennen, durch das sich zahlreiche Plätze und Straßenzüge veränderten. Aus der selben documenta stammen auch Oldenburgs Spitzhacke an der Fulda und Ulrich Rückriems Granitblock neben der Neuen Galerie. Am wenigsten in das Bewusstsein vor¬gedrungen ist eine vierte Arbeit, die von 1982 blieb: Die Amerikane¬rin Jenny Holzer ließ auf eine Hauswand in der Neuen Fahrt (direkt gegenüber vom Kaufhof) rund 40 Thesen schreiben. Diese Wandarbeit ist nicht mehr reines Bild oder Malerei; sie bewegt sich hin zum Außenobjekt, zur Skulptur.

Die meisten Passanten nehmen diese Schriftbotschaften gar nicht oder kaum wahr. Wer
aber hinauf blickt, reagiert leicht irritiert, weil die Thesen in ihrer beschreibenden Weise indirekt und unverlangt Ratschläge erteilen und oft zum Widerspruch herausfordern.
Beispiele:
„Am besten man macht seine eigene Sache.“
„Für die Liebe zu sterben, ist schön, aber dumm.“
„Sterben sollte so einfach sein wie Kuchenbacken.“
„Zu viel essen ist kriminell.“

Die in New York lebende Künstlerin (Jahrgang 1950) hatte als Malerin begonnen. Nach¬dem sie Textzeilen in ihre Malerei einbezogen hatte, wurden ihr in den 70er-Jahren die Aussagen immer wichtiger, so dass sie von der Malerei abließ und mit gemalten, gedruckten und geprägten Thesen in den Stadtraum ging, um dort mit Plakatwänden, Hin¬weisschildern und Leuchtrekla¬men zu arbeiten.

Bei ihrem Auftritt 1982 glich Jenny Holzer noch der Straßenkünstlerin, die auf Agitation und Wirkung setzte. Damals verkaufte sie auch T-Shirts mit ihren Botschaften. Fünf Jahre später war Jenny Holzer erneut zur documenta eingeladen Da war von der Straßenkünstlerin nichts mehr geblieben, obwohl immer wieder beteuert wurde, ihre Botschaften würden dort die stärkste Wirkung entfalten, wo man sie nicht erwartet – im normalen Stadtbild also.

Heute genört Holzer zu den Spitzenkünstlern der USA. 1990 wurde sie dadurch geehrt, dass sie ihr Land in der Biennale von Venedig mit schnell laufenden Leuchtschriften vertreten durf¬te..
HNA 1. 5. 2002

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