Sammeln als Besessenheit

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wo Kunst aus Privatbesitz vorgestellt wird, liegt es nahe, ein wenig über das Sammeln nachzu-denken. Da dieses. Nachdenken mit dem Sammeln der Gedanken gleichzusetzen ist, flicht der Vortragende Zitate in seine Rede ein, um zu zeigen, dass er auch Belege für seine Behauptungen gesammelt hat. Und wen könnte man eingangs nicht besser zitieren als Goethe, der ja auch in vielerlei Hinsichten ein Sammler war.

Goethe also tadelte 1815 einen Sammler, dessen Schätze er in Augenschein genommen
hatte: „Er gehört nämlich zu den Personen, die bei einer grenzenlosen Neigung zum
Besitz, ohne methodischen Geist, ohne Ordnungsliebe geboren sind, ja, die eine Scheu, anwandelt, wenn nur von weitem an Sondierung, schickliche Disposition und reinliche
Aufbewahrung gerührt wird. Der chaotische Zustand ist nicht denkbar, in welchem die kostbarsten Gegenstände der Natur, Kunst und des Altertums übereinander stehen, liegen, hängen und sich durcheinander umher¬treiben. Wie ein Drache bewahrt er diese Schätze…“.

Der, von dem Goethe so abschätzig spricht, hatte sich zeitweise in Hunger und Not gesammelt. Rund 80 000 Objekte sollen es gewesen sein; Sie wurden zum kostbaren Grundstock der Kölner Museen, ihr Stifter, war Ferdinand Franz Wallraf – ein Priester und Professor für Naturgeschichte und Ästhetik. Als die Stadt Köln 1818 endlich Wallrafs Schenkung angenommen und ihm eine Pension ausgesetzt hatte, verpfändete dieser die Pension für vier Jahre, um 24 Antiken erwerben zu können.

Auch Sammeln ist eine Sucht, von der jemand, der von ihr befallen ist, nicht ohne weiteres loskommen kann. Es muss nicht immer so enden wie im September 1980, als aus krank
hafter Sammel-Leidenschaft ein Ehepaar in Dresden wegen Vernachlässigung der Erziehungspflichten vor Gericht kam. Die Eltern hatten egelmäßig Sperrmüllcontainer geleert und ihre Wohnung mit alten Fernsehern, Radios und Bettgestellen so vollgestellt, daß die Kinder nur mit Hilfe einer Leiter über einen Gerümpelberg in ihre Betten gelangen konnten.

Gefunden habe ich diese Meldung in einem Katalog des Kölnischen Kunstvereins, der vor sieben Jahren einmal eine Ausstellung dem Sammeltrieb widmete. Künstler, Kunstvereins¬mitglieder und andere führten vor, was sie jenseits der Kunst sonst noch sammelten.

Denn das ist eine allseits bestätigte Erfahrung, dass derjenige, der bewusst sammelt, selten nur in einer Richtung aktiv ist. Meisteris wachsen mehrere Sammlungen neben- und miteinander heran.
In dem Katalog zu der Kölner Ausstellung verwies der Sozialpsychologe Wilhelm Salber auf den kulturgeschichtlichen Urgrund, auf den sich viele unserer Verhaltensweisen zurückführen lassen – die Zeit der Jäger und Sammler. Demnach setzen die heutigen Samm¬ler die prähistorischen Unternehmungen des Suchens und Findens, des Hamsterns und des Nach-Hause-Schleppens in freiwilliger Form fort.

Doch bevor die Nicht-Sammler nun mit schiefem Blick auf ihre der Vorgeschichte verhafteten Zeitgenossen herabblicken, sei ihnen mit Salber gesagt, dass sie in ihrer Entwicklung auch noch nicht weiter sind. Zitat: Die Nicht-Sammler „finden ihre Jagd¬gründe. auf Parties, und sie haben ihre Horte in Tiefkühltruhen, Sparkonten und Versiche¬rungspolicen. Aber diese anderen jagen und sammeln so, ohne es zu merken“.

Sammeln bedeutet nicht nur Anhäufen, sondern auch Auswählen und Ordnen. Ob die Beute-stücke, die von der Jagd heimgebracht wer¬den, sich zu einem Chaos türmen oder zu einem Sammelsurium verkommen, oder ob mit jedem neuen Objekt das Gewicht und die Bedeutung der Sammlung zunehmen, hängt davon ab, inwieweit es dem Sammler gelungen ist, seine Besessenheit zu einer produktiven Kraft werden zu lassen. Für den Kunsthistoriker Alfred Lichtwark gehörte denn auch die Sammeltätigkeit „zur höchsten Form der Bildung, die wir kennen…, denn sie führt zu den Dingen und in die Dinge hinein“.

Aus dem Umgang mit den Sammlungsstücken, aus ihrem Studium und ihrer gegenseitigen Zuordnung wachsen Erfahrung, Wissen und Kennerschaft. Der gute Sammler ist eben mehr als blindwütiger Jäger, er ist Experte, der sich auf Abwege, aber auch Königswege begeben kann.
Dennoch gilt auch für ihn, wie Daniel Salber in dem bereits zitierten Katalog schreibt: „Während der Sammler an seiner Sammlung arbeitet, breitet sich die Sammlung als Mitar¬beiterin am Leben des Sammlers auf sein äußeres und inneres Wirken aus – bis sie auf Grenzen stößt, die finanzieller, räumlicher oder seelischer Natur sein können… Wie also Sammeln einerseits entlastet – indem es feste Gestalt und Sinn stiftet – so kann es andererseits belasten – indem es selbst wieder ins Uferlose oder in andere Nöte führt… Der Sammler wird – statt sich die Sammlung anzueignen – umgekehrt von der Sammlung einverleibt“.

Leicht nachvollziehbar wird das am Beispiel eines Sammlers, der damit angefangen hat, Bilder zu kaufen, um damit seine Wohnung zu schmücken. Er hat als schlichter Liebhaber einer vollendeten Einrichtung oder als ein Freund von Grafik und Malerei begonnen. In dem Moment aber, in dem er über den Bedarf und die Möglichkeiten der Wände hinaus kauft, in dem er die Kunst um ihrer selbst willen kauft (anders ausgedrückt: nur um sie zu besitzen), ist er kein bloßer Liebhaber mehr, sondern Sammler.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Sam¬meltätigkeiten hat das Sammeln von Kunst und hier speziell von zeitgenössischer Kunst ¬attraktive Eigenarten. (Die spektakulive Absicht, Kunst als gewinnbringende Geldan¬lage, will ich beiseitelassen.) Das Kunst¬sammeln genießt hohes Ansehen. Kunstobjekte sind schließlich potentiell museale Werte und zeichnen so ihren Besitzer aus. Sie schmücken und bereichern nicht nur die Räume, sie sind nicht nur Anreger, sondern als Originale stellen sie auch den direkten Bezug zu ihrem Schöpfer, dem Künstler, her. Und so führt das Sammeln zeitgenössischer Kunst den Sammler direkt zum Künstler, lässt ihn zu einem Teil der Kunstszene werden. Anderer¬seits schaffen die vielen kleinen und mittel¬großen Sammler erst die Basis, auf der die meisten Künstler bestehen können.

„Die Kunstszene würde nicht existieren, wenn es nicht Sammler gäbe. Künstler, Mu¬seen könnten nicht existieren, wenn nicht Sammler ihr Wissen, ihr Geld, ihre Zeit, ja eine Art von Besessenheit für die Jagd nach Kunst einsetzten“, meint Wulf Herzogenrath, Direktor des Kölnischen Kunstvereins.
Die Stärke der privaten Sammler ist, daß sie auch auf die Kunst setzen, die nicht schon abgesichert ist. Durch ihre Erwerbungen ermöglichen sie die Vielfalt der Stile und Talente. Sie bilden unter Umständen das Ge¬gengewicht zur Ankaufspolitik der Museen. Das läßt sich gerade hier anhand der Bilder, vor denen Sie stehen, bestens illustrieren. Diese geballte Macht der sogenannten Wilden Malerei, die um 1980 aufblühte, wäre im Moment als Sammlungsbestand der Neuen Galerie in Kassel undenkbar. Trotzdem oder gerade deshalb ist es beruhigend zu wissen, daß in dieser Stadt Sammler gezielt und mit sicherem Blick auf diesen Aufbruch der Malerei setzten.

Die Sammler, die sich in dem Moment für eine Stilrichtung entschieden, in dem sie als solche erscheint, gehen, jenseits des finanziel¬len Engagements, ein ungeheures Risiko ein, das des Irrtums, der Geschmacksverirrung. Genau diese Risikobereitschaft aber ist es, die Künstler ermutigt , Kreativität fördert und den Kreislauf des Kunstbetriebs in Bewe¬gung hält.
Manchmal weckt und steigert eine neue Stil¬richtung erst die Sammellust. Das gilt mit Bestimmtheit für das Emporschnellen der neuen Malergeneration. Lange nicht mehr hatte es innerhalb der Kunstkritik und unter den Ausstellungsmachern sowie Museumsleitern derart heftige Kämpfe um die Echtheit, Zukunftsaussichten und überhaupt die Existenzberechtigung dieser als neu, jung, wild, heftig und expressiv bezeichneten Malerei gegeben.
Dass sich diese Malerei dennoch durchsetzen konnte, ist nicht etwa der Verschwörung einiger Galeristen und Museumsleute zu verdanken, sondern der Tatsache, dass sich erstaunlich viele Sammler emotional angesprochen fühlten und durch schnelle und frühzeitige Ankäufe die Weichen stellten.
Natürlich wurden durch diese ganz ungewöhnliche Kaufbereitschaft auch einzelne Künstler unter Produktionszwang gesetzt und wurden die Preise hochgetrieben, doch das ist ein eigenes Thema.
Andererseits können einzelne Sammler auch keine Kunstrichtungen durchsetzen. Als vor acht Jahren die Neue Galerie – Sammlung Ludwig in Aachen die Ausstellung präsentierte, deren Titel dann zeitweise zum Etikett der jungen Malerei werden sollte – „Die neuen Wilden“ – , da wurden die Bilder von
Baselitz, Immendorff, Kiefer und Penck mit Werken einer amerikanischen Dekorativkunst („Pattern Paintinq“ ) zusammengebracht. Wohl
konnten sich einige dieser Amerikaner behaupten, aber „Pattern Painting“ war damit nicht nach Deutschland verpflanzt. Auch die Versuche von Peter Ludwig, Ostkunst mit Westkunst in Konkurrenz zu bringen, fanden nur wenige Nachahmer, obwohl der Aachener Sammler mit zwei Dutzend Museen zusammenarbeitet.

Es waren und sind immer wieder Sammler, die den Museen zu Glanz und Blüte verhelfen, die die öffentliche Hand zu besonderen Aus¬stellungen herausfordern. Und dabei ist es oftmals gar nicht der unterstellte unermess¬liche Reichtum, der die Sammler dazu in die Lage versetzt, sondern oftmals bloß das richtige Gespür zu einem Zeitpunkt, an dem andere noch zweifeln, ob das überhaupt Kunst sei. Das WalIraf -Richartz-Museum in Köln, das Von der Heydt-Museum in Wupper¬tal, das Sprengel-Museum in Hannover, das Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen und die verschiedenen Museen, die nach Peter Ludwig benannt sind, sie alle zeugen nicht nur von großzügigen Stiftungen, sondern auch von den voraufgegangenen Pionierleistungen der Sammler.

Auch die Abteilung des 20. Jahrhunderts in der Neuen Galerie in Kassel wäre ärmlich bestückt, verfügte sie nicht über Leihgaben gewichtiger und auch kleiner Sammler. „Der Sammler geht voran“. Dieses Motto stellte Kölns Museumschef von der Osten seinem Dank an Ludwig voran, als dieser 1969 seine Kunst der 60er Jahre dem Museum als Leihgabe überließ. Dieses Motto gilt auch im Kleinen, dort, wo es nicht um große Leihgabenkomplexe, sondern um einzelne Werke geht. Die Sammler stärken die Museen, sie bedrängen sie aber auch, etwa wenn sie Unpassendes oder Zweitrangiges mit an den öffentlichen Wänden unterbringen wollen. Nicht immer müssen die Auseinandersetzungen so dramatisch verlaufen wie im Fall Buchheim, bei dem man am Ende gar nicht weiß, ob er seine Expressionisten irgendjemand anderem anvertrauen will.
Der Sammler ist von Natur erst einmal kein Mäzen. Er ist, wie beschrieben, einer, der seiner Leidenschaft frönt. Macht er dies gut,
dann kann auch seine Sammlung gut, das

heißt profiliert und qüalitätsvoll sein. Mäzen ist er bestenfalls in Bezug auf einzelne Künstler, die er durch Ankäufe fördert.
Das Verhältnis des Sammlers zur Öffentlich¬keit ist keines (es sei denn, er kauft gleich mit Blick auf die öffentlichen Sammlungen wie Ludwig). Ja, der Sammler scheut sogar die Öffentlichkeit. Wohl führt er gerne seine Schätze und Trophäen vor, aber nur einem begrenzten Kreis. Er will sich mit seiner Sammlung nicht zur Schau stellen, will jedoch auch nicht unbeachtet sein.
Dieses Hin- und Hergerissen-Sein, dieses un¬geklärte Verhältnis zur Öffentlichkeit, be¬stimmt auch diese Kunstschau.: Die Ausste¬lung fordert den Respekt heraus, weil sie dokumentiert, wie sich fast gleichzeitig mehrere Sammler zum Engagement .für die Malerei der 80er Jahre entschieden haben In diesem Saal und auch noch in dem ersten der drei kleineren Räume wird etwas von der Risikobereitschaft und dem Votum für kraft¬volle Malerei spürbar. Dennoch geraten wir in eine museale Situation, weil die Bilder auf Abstand und Freiraum gehängt sind, weil sie gewissermaßen gereinigt und entpersönlicht präsentiert werden. Wir erleben hier die Ar¬beiten, die alle mit ihrer Erwerbungsge¬schichte auch ein Stück von der Lebensge¬schichte des Sammlers in sich tragen. In fast nüchternen kunstgeschichtlichen Bezügen. Nichts ist mehr erkennbar von den Spannungen, denen die Werke im Neben- und Über-
einander der Bilder im Heim des Sammlers ausgesetzt sind. Das entwertet nicht die Bilder und Objekte. Die müssen für sich stehen können. Das hebt aber den Bezugsrahmen auf, den sich die Ausstellung selbst geschaffen hat. Wir sehen nicht Privatsammlungen, sondern einige aktuelle, aber isolierte Werke daraus.
I
Kasseler Kunstverein, Januar 1988

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