„Die leben in New York“

Seit einem halben Jahr schon gibt es das Gerangel zwischen Düsseldorf und Frankfurt: Wechseln die Professoren Kasper König, Gerhard Richter und Ulrich Rückriem von der Düsseldorfer Kunstakademie an die Städelschule am Main? – Ja, nein, ja; die Meldungen widersprachen sich fast täglich. Das ist bei Berufungsverhandlungen mit Hochschullehrern nichts Unge¬wöhnliches. Da wird hoch gepokert.
Doch in diesem Fall ging es um mehr. Der eigentlich in Köln ansäs¬sige König war an die Düsseldorfer Akademie geholt worden, damit die wirklich reichlich vorhandene
künstlerische Potenz dieser Kunst¬hochschule stärkere Impulse nach außen erhalten sollte. Der Mann, der 1981 für das Kölner Museum Lud¬wig die große Kunstschau „West¬kunst“ auf die Beine gestellt hatte, sollte nun Düsseldorf helfen, wieder die Kunststadt Nr. 1 am Rhein zu werden. König inszenierte daraufhin 1984 in den Düsseldorfer Messehal¬len eine brandaktuelle Übersicht („von hier aus“) über die deutsche Kunstlandschaft.
Wechselt dieser Ausstellungsma¬cher und Kunstvermittler nach Frankfurt (und alles spricht dafür, dass er das auch tut) und folgen ihm gar gastweise oder auf Raten die in¬ternational hoch geachteten Künst¬ler Richter und Rückriem, ist das ein Signal für eine Wende.
Das muss nicht auf Dauer zum Nachteil von Düsseldorf sein. Dort wird man auch auf neuen Kräften aufbauen können, immerhin ist die Basis noch breit genug. Doch aus Frankfurter Sicht steht dahinter ein kunstpolitischer Machtanspruch. Die Stadt, die lange Zeit als so „un¬bewohnbar wie der Mond“ (Gerhard Zwerenz) galt, die nur Geld zu ver¬dienen und Wohnraum zu vernich¬ten schien, entdeckte Mitte der 70er Jahre, dass man mit Hilfe der Kultur Image-Pflege betreiben kann.
Warum das Beispiel Frankfurt, wenn eigentlich von Köln, Düssel¬dorf, Essen, Krefeld und Bonn die Rede sein soll? Weil es im Rhein¬land, auch in den besten Wachs¬tumszeiten, niemals eine vergleichbare politische Kraft zur Investition in die Kultur gab. Den Aufstieg zur Theater- oder Kunstmetropole schaffte keine dieser Städte.

Köln schien in den späten 70er und frühen 80er Jahren auf dem be¬sten Weg zu diesem Ziel zu sein. Die Leihgaben und Stiftungen des Aachener Schokoladenfabrikanten und Sammlers Peter Ludwig hatten die Domstadt auf den gewaltigen Neubau des Dom-Rhein-Projekts verpflichtet. Wenn man aber sieht, wie sich mittlerweile die Liebe Lud¬wigs zu Köln abgekühlt hat, dann reduziert sich auch der Impuls, der von dem Neubau ausging.

Trotzdem bleibt Ludwig für die westdeutsche Kunstlandschaft eine überragende und (bei allen Abstri-chen) vorbildhafte Figur. Er sam¬melte stets in Museumsdimensionen und dachte immer an die öffentliche Präsentation seiner Schätze. Doch er machte nur selten freizügige Ge¬schenke. Immer wieder verstand er es, die Nutznießer auf Eigenleistun¬gen zu verpflichten.

Der Wettstreit zwischen Köln und Düsseldorf um die politische, wirt¬schaftliche, sportliche und kulturel¬le Vorherrschaft nimmt gelegentlich provinzielle Formen an und ist viele Glossen wert. Tatsache aber ist, dass in der föderalistischen Bundesrepu¬blik das Land Nordrhein-Westfalen einen eigenen Kultur-Föderalismus begünstigte.

Die Region zwischen Aachen und Dortmund sowie zwischen Duisburg und Bonn hat eine geradezu bei-spiellos vielfältige Theater- und Mu¬seumslandschaft hervorgebracht.
Ein Theatermann hat einmal über die Menschen im Rhein-Ruhrgebiet gesagt: „Die leben in New York, die wissen’s nur nicht!“ Wohl wahr, die¬se Zusammenballung der Stadtteile, diese immer noch ansehnliche Wirt¬schaftskraft, aber auch die sozialen und strukturellen Probleme und endlich diese Vielfalt an Kulturan¬geboten, die in höchstens einer Stun¬de Fahrzeit zu erreichen ist, gibt es sonst nur in Weltstädten wie New York.

Wie in vielen anderen Regionen haben die Städte, aber auch die Wirtschaft, die Liebe zur Kultur erst spät entdeckt. Was in den 50er und 60er Jahren investiert worden war, deckte gerade die Grundversorgung. Und hätte Düsseldorf nicht die angesehene Akademie mit einer da¬mals geschickten und weitsichtigen Berufungspolitik gehabt, dann hätte die Stadt zwischen 1960 und 1980 kaum zum Brennpunkt der zeitge¬nössischen deutschen Kunst werden können.

Erst, als der Zug bereits abgefah¬ren war, als sich der Kunstmarkt mit Blick auf das Museum Ludwig und andere Aktivitäten für Köln und gegen Düsseldorf entschieden hatte, wurden kunstfreudige Wirt-schaftsführer in der Landeshaupt¬stadt wach und waren auf einmal bereit, für die kulturelle Attraktivi¬tät ihrer Stadt auch größere Beträge bereitzustellen.

Das mäzenatische Klima im Rheinland ist nicht schlecht. Zahllo¬se Museumsnamen erinnern an be-deutende Stifter. Doch oft reicht die finanzielle Basis der privaten und öffentlichen Förderer nicht aus, den einen großen Impuls aufzunehmen, zu verstärken oder gar regelmäßig zu erneuern.
„Copy“ 19, 1987

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