Vor dem Umbau und der Neueinrichtung der Neuen Galerie in Kassel hatte es für einige Zeit die Hoffnung gegeben, das Museum könne zu einem Haus für die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts umgestaltet werden. Die Hoffnung wurde enttäuscht, nachdem die Museumslandschaft Hessen Kassel (mhk) entschieden hatte, die Neue Galerie mit der Kunst des 19. Jahrhunderts zu beginnen, wobei die Behauptung die Sammlung sei mit Werken des 19. Jahrhunderts gut bestückt, durch die Realität leider nicht gedeckt wird.
Trotzdem bahnt sich eine vielversprechende Entwicklung an. Schon bei der Neueinrichtung der Neuen Galerie unter der Leitung von Dr. Dorothea Gerkens wurde ein sesiblerer Umgang mit der documenta-Kunst spürbar. Zwar konnten bei weitem nicht alle aus der documenta stammenden Werke präsentiert werden, doch es wurde erstmals durch die Beschilderung erkennbar gemacht, welche Arbeiten direkt aus einer documenta erworben wurden und welche nur eine indirekte Beziehung zu der Ausstellung haben. Die documenta-Bezüge wurden bis in die 50er Jahre sichtbar gemacht.
Sehr ermutigend waren auch die beiden ersten Ankaufsentscheidungen nach dem documenta-Jahr 2012: So wurde geradezu musterhaft vorgeführt, wie man in den Jahren, in denen nicht Ankäufe aus der Weltkunstausstellung erfolgen können, mit der Sammlungserweiterung umgehen kann: Von der Künstlerin Tacita Dean, deren Landschaftskreidezeichnungen im früheren Finanzamt Spohrstraße während der dOCUMENTA (13) fasziniert hatten, wurde eine achtteilige Heliogravure mit dem Titel „Fernweh“ angekauft. Dabei handelt es sich um Überarbeitungen von vier Landschaftsansichten aus dem 19. Jahrhundert, die zu einem fiktiven Landschaftsgemälde verschmolzen worden.
Auch die zweite Entscheidung ist hervorragend: Von dem Schweizer Urs Lüthi wurden zwei Fotodrucke sowie eine Kleinplastik angekauft. Wie so oft spielen die Arbeiten mit dem Bild des Künstlers und hinterfragen dessen Identität. Die Kleinplastik amüsiert, weil sich Lüthi hier als ein Mann ohne Körper vorstellt. Der Kopf sitzt unmittelbar auf den schmalen Gliedmaßen. Die Erwerbung macht deshalb doppelt Sinn, weil Lüthi bis 2013 Profressor an der Kunsthochschule war und deshalb endlich damit begonnen wurde, die Künstler-Professoren mit ihren Werken in die Neue Galerie aufzunehmen, und weil Lüthi mit Fotografien in der documenta 6 (1977) vertreten war.
Es gibt noch einen weiteren Grund, hoffnungsfroh zu sein. Das ist die derzeit in der Neuen Galerie laufende Wols-Ausstellung.Wols war an den ersten drei documenten beteiligt – an der zweiten mit insgesamt 41 Werken – so breit wie kein zweiter Künstler. Die documenta wurde zum Promoter von Wols‘ Kunst. Das Erfreuliche an der Ausstellung ist, das diese ungewöhnliche Präsentation in der Schau und in der Ausstellung intensiv aufgearbeitet und gespiegelt wird. Überhaupt ist die Ausstellung beispielhaft, weil sie zeigt, wie man mit Hausmitteln (grafischen Beständen) sichtbar machen kann, in welchem Umfeld sich Wols und seine Werke entfalten und behaupten konnten.
Das ist eine Ausstellung, die sich eines Museums würdigt erweist, das der documenta verpflichtet ist.