Die documenta 6 expandierte in die Stadt und bescherte die DDR-Malerei
Obwohl das Defizit der documenta 5 düstere Schatten warf, wollte das Land Hessen ganz früh die Weichen für die documenta 6 stellen: Bereits Ende 1973 wurde der Landeszuschuss in Höhe von einer Million Mark zugesagt. Doch dann häuften sich die schlechten Nachrichten, die das Unternehmen documenta in eine existenzielle Krise stürzten. Nicht ganz unschuldig daran waren Arnold Bode und sein Freundeskreis. Der documenta-Begründer hatte es nicht verwunden, dass er bei der Planung von Harald Szeemanns Ausstellung auf dem Abstellgleis gelandet war. Jetzt wollte er wieder das Heft in die Hand nehmen. So kam es im Sommer 1974 zum Eklat: Karl Ruhrberg und Wieland Schmied gaben ihren Planungsauftrag zurüvk, und die documenta 6 musste von 1976 auf 1977 verschoben werden.
Zum Nothelfer wurde Manfred Schneckenburger. Der Kölner Kunsthallendirektor hatte 1974 mit der Ausstellung „Projekt 74“ gezeigt, dass er im documenta-Format planen kann, auch wenn die Schau hinter der documenta 5 zurückbleiben musste. Formal behielt Schneckenburger Bode zwar in seinem Team, doch der unermüdliche Planer konnte keine seiner Ideen verwirklichen. Vor allem träumte er davon, Skulpturen, Environments und Installationen im Oktogon des Herkules zu zeigen. Einen Tag nach Schluss der documenta 6 starb Arnold Bode.
Ursprünglich hatte man daran gedacht, zur documenta 6 einen kritischen Rückblick auf die früheren Ausstellungen mit einer Präsentation aktueller Kunst der Welt zu verbinden. Schneckenburger jedoch wandte sich der Gegenwart zu. Im Grunde setzte er dort an, wo Szeemann aufgehört hatte. Die große Leistung der Ausstellung von 1972 war, dass sie die eingrenzenden Schranken des traditionellen Kunstverständnisses niederriss. Fotografie, Video, Installation und Performance waren als neue Gestaltungsformen akzeptiert. Manfred Schneckenburger und sein Theoretiker Lothar Romain spitzten diese Erkenntnis zu und versuchten eine Bestandsaufnahme der aktuellen Kunst aus dem Blickwinkel der Medien. Das funktionierte da gut, wo neue künstlerische Medien in eigenen Abteilungen vorgestellt wurden – Performance, Video, Künstlerbücher, Handzeichnungen und Fotografie.
Allerdings scheiterte die Ausstellung in dem Bereich, in dem die documenta bis dahin immer souverän gewesen war – in der Malerei. Sie scheiterte auch deshalb, weil der Einfluss des Kunsthandels, vor dem Ruhrberg gewarnt hatte, überdeutlich wurde: Kurz vor Eröffnung hängten Galeristen und Künstler Bilder ab und um. Außerdem entwickelte sich ein heftiger Streit um die Einbeziehung der prominenten DDR-Maler wie Willi Sitte und Werner Tübke.
Obwohl die documenta 6 viel leistete – insbesondere auch mit den Skulpturen und Installationen in der Karlsaue – litt sie unter ihrem schlechten Image. Darüber hinaus hatte es in der Vorbereitungsphase reichlich Unmut in der Stadt über ein Kunstprojekt gegeben, das als reine Provokation verstanden wurde. Der normalerweise als gute Stube behandelte Friedrichsplatz war in eine Großbaustelle verwandelt worden: Walter de Maria plante, in der Platzmitte einen Erdkilometer zu versenken. Dafür musste wochenlang der Friedrichsplatz aufgebohrt werden. Den Lärm und Schmutz hätten die Kasseler vielleicht bereitwilliger hingenommen, wenn ihnen das Projekt vorher ausführlich erläutert worden wäre. Doch das wurde versäumt. Erst nachdem der Bohrturm abgeräumt und das Ende des Erdkilometers mit einer Sandsteinplatte ummantelt worden war, legte sich die Erregung.